Kölner Initiative Grundeinkommen

Irrweg Schulökonomie – Gelehrte Einwände gegen Grundeinkommen

Von Harald Schauff*


Die Arbeitswelt, wie man sie bis heute kennt, scheint schwerlich ohne Druck und Zwang auszukommen. Je stärker diese verinnerlicht sind, desto utopischer erscheint die vorbehaltlose Gewährung eines existenzsichernden Einkommens. Der Tellerrand ist hoch gesteckt. Es verlangt Anstrengung, darüber zu schauen. Die meisten scheuen es und bleiben lieber auf der Mitte des Tellers sitzen, welche sie für den Teppich halten, auf dem es zu bleiben gilt. Diese Mainstream-Einstellung beruht mehr auf Misstrauen und gängigen Klischees als auf besserer Erkenntnis. Dennoch lässt sie sich gern pseudowissenschaftlich von entsprechenden Experten bestätigen. An dem, was jene von sich geben, »muss ja was dran sein.«

Doch gleich, was (an Fleisch) auch dran sein mag: Letztlich beißt man immer wieder auf denselben tumben Knochen, der ein bedingungsloses Grundeinkommen gleichsetzt mit Zuständen wie im »Schlaraffenland« und einen allgemeinen Unwillen zur Arbeit vorhersagt für den Fall der tatsächlichen Einführung. Man erinnert sich dessen, was Götz Werner meint: »Wer nicht will, wird Gründe finden«. Beim Aufspüren solcher Gründe hat zuletzt der bekannte Ökonom Heiner Flassbeck weit ausgeholt. Zusammen mit drei anderen Autoren verfasste er ein Buch mit dem Titel »Irrweg Grundeinkommen«. Es erschien November letzten Jahres im Westend-Verlag. Einen Auszug davon fand man in le monde diplomatique von November 2012 unter dem Titel: »Die falsche Solidarität – Warum das Konzept des bedingungslosen Gr...

Flassbeck ist eine etablierte Größe. Anfang der 80er war er im Bundeswirtschaftsministerium tätig. 1986 wechselte er zum Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) in Berlin. 1998 wurde er unter der Regierung Schröder Staatssekretär im Bundesministerium für Finanzen. 2000–2002 war er Senior Ökonom bei der UNO-Organisation für Welthandel und Entwicklung (UNCTAD). Sein theoretischer Ansatz ist keynesianisch-nachfrageorientiert. Die Massenarbeitslosigkeit sieht er nicht als Folge des technischen Fortschritts, sondern als Auswirkung einer nicht an der Nachfrage orientierten Politik. Keine Frage: Was so jemand von sich gibt, hat Reichweite. Doch hat es auch Gewicht?

Schauen wir näher auf den Beitrag in der monde dipl. Zu Anfang stellen die Autoren drei Grundkonzepte der Einkommensverteilung vor:

  1. Die neoliberale, die staatliche Eingriffe in die Einkommensverteilung weitestgehend ablehnt.
  2. Die Befürwortung eines staatlichen Eingriffs in das bestehende Umverteilungssystem, um eine gleichmäßige Verteilung der Einkommen zu erreichen.
  3. Der »dritte Weg« eines bedingungslosen Grundeinkommens als Alternative zu den ersten beiden Positionen.


Folgt man den Neoliberalen, so die Autoren, gehören Armut und Ungleichheit notwendigerweise zum Marktsystem. Dann passt jedoch das politische System nicht zum wirtschaftlichen. In diesem Fall wäre es ehrlicher die Politik an der wirtschaftlichen Ungleichheit auszurichten, z. B. durch einen Ständestaat mit Klassenwahlrecht. Natürlich könne man auch umgekehrt nach einem Wirtschaftssystem Ausschau halten, das besser zur Demokratie passe als die Marktwirtschaft. Problem: Nach dem Untergang des real existierenden Sozialismus wird man hier nicht fündig.

Zumindest können sich die Autoren hier keine Alternative vorstellen. Jedoch meinen sie, dass auch die Ideen zum Grundeinkommen hier keine neuen Wege wiesen. Schließlich würde jede Finanzierung eines Grundeinkommens auf dem beruhen, was produziert werde. Es sei eine Grundregel des Wirtschaftens, »dass nur verbraucht werden könne, was produziert worden ist.« So wenig, wie man die Schwerkraft per Beschluss abstellen könne, ließe sich besagte Grundregel – und jetzt Achtung – mit »schlaraffenlandähnlichen Ideen außer Kraft setzen.«

Auch die Damen und Herren Experten können sich bei aller bemühten wissenschaftlichen Objektivität nicht den Rückgriff auf das unter Grundeinkommensgegnern beliebte Klischee vom Schlaraffenland verkneifen. Wie oft soll man es noch wiederholen: Es geht rein um die vorbehaltlose Sicherung des Existenzminimums. Haben wir nicht ein Grundrecht darauf? In der Tat verweisen die Autoren auf das grundgesetzlich garantierte Existenzminimum. Allerdings sehen sie es an die Bedürftigkeit des Leistungsempfängers gekoppelt. Geholfen werden soll nur dem, der dauerhaft nicht in der Lage ist, sich an der »Schaffung von Einkommen« zu beteiligen. Die Bedürftigkeitsprüfung sei dabei das Gegenstück zur »Besteuerung nach Leistungsfähigkeit«. Bei dieser »soll« jeder so besteuert werden, dass er im Verhältnis das gleiche Opfer für die Gesellschaft erbringt.

Das leuchtet vollkommen ein, wenn man auf die wahnsinnigen Steueropfer von Reichen, Banken und Konzernen blickt. Schon umwerfend, wie diese sich an der Finanzierung des Gemeinwesens beteiligen. Im Gegenzug drangsaliert man Bedürftige mit der Sanktionsmaschine »Hartz IV« und schreckt weitere davon ab, ihre berechtigten Ansprüche geltend zu machen. An dieser Stelle klaffen Anspruch und Wirklichkeit meilenweit auseinander. Allerdings nicht nur hier, wie wir später noch sehen werden. Wenn alles so liefe, wie es soll – das wär’ toll. Leider ist es, wie es ist – großer Mist.

Im folgenden setzen Flassbeck & Co zum Hauptangriff auf das Grundeinkommen an. Besonders stoßen sie sich an der Entkoppelung von »jeglichen Bezugsbedingungen.« Sie sehen dadurch die »stabilen materiellen Grundlagen« gefährdet. Jene benötige jedes Umverteilungssystem, um die von ihm versprochenen Leistungsansprüche zu befriedigen. Das bedingungslose Grundeinkommen kranke daran, »dass es die von ihm vorausgesetzte ökonomische Basis systematisch zerstört.« Ohne ein stabile materielle bzw. ökonomische Grundlage könne eine Demokratie nicht funktionieren. Würden die Bürger eines Landes nur noch das tun, was ihnen Spaß mache, aber nicht »am Markt nachgefragt« werde, gäbe es »keine ausreichende materielle Grundlage, aus der heraus die gesetzlichen Ansprüche jedes Einzelnen gegen den Staat, gegen die »Allgemeinheit« bedient werden könnten.«

Einfacher und klarer formuliert: Bei bedingungsloser Sicherung der Existenz wäre keiner mehr bereit zu arbeiten bzw. »richtig« zu arbeiten im Sinne von lästiger, strapaziöser und eben zwanghafter, gleichwohl gesellschaftlich notwendiger Beschäftigung. Denn, so belehren uns die Autoren weiter, die Freiheit des einen, nicht am Erwerbsleben teilzunehmen, führe zum Zwang für andere, für diesen mitzuverdienen. »Damit ist aber die Freiheit des einen sozusagen auf die Unfreiheit anderer angewiesen. Wollen alle die gleiche Freiheit nutzen, bricht das System zusammen.« Dabei genüge schon, wenn »etliche Leute durch reduzierte Arbeit« die beispielsweise 1.000 Euro, die sie als Grundeinkommen erhielten, weniger verdienen.

Die oft gehörte und wiederholte Grundaussage hinter den gelehrten Ausführungen lautet letztlich: Ohne Arbeitszwang läuft nichts mehr. Die gesamte Wirtschaft würde zusammenbrechen. Deshalb ist es nötig, die Leute weiterhin mit Peitsche und Zuckerbrot ins Hamsterrad zu treiben. Auf Kosten der Gesundheit. Auf Kosten der Umwelt. Das Zuckerbrot steht dabei für Konsum und Freizeit. Wohl auf diese beiden Faktoren sieht die schulökonomische Sicht der Dinge die grundgesetzlich garantierte Freiheit beschränkt. Also fernab grundsätzlicher Selbstbestimmung über sein Leben und Tun. Diese kann nach Flassbeck & Co. aufgrund ökonomischer, materieller, bzw. existenzieller Notwendigkeiten nicht eingeräumt werden.

Nun, im namibischen Otjivero und im brasilianischen Quatinga Velho wurde und wird sie eingeräumt. Dort ist die ökonomische Basis nicht weggebrochen. Im Gegenteil: Sie hat sich erst richtig heraus gebildet. Hier wurden Hühnerzuchten aufgebaut und sich in Nachbardörfern als Erntehelfer betätigt. Flassbeck et alii führen den Erfolg dieser Grundeinkommens-Pilotprojekte auf die »geringe Anonymität« und den »sozialen Druck« zurück, die herrschten, weil hier jeder jeden kenne wie im Kibbuz. Für eine Gesellschaft von 80 Millionen sei dies utopisch.

So, so. In der Masse tickt der Mensch also ganz anders als in kleinen Gruppen. Antriebslos und bequem taucht er unter, wenn die Peitsche nicht knallt. Wie kommt es jedoch, dass der als Nachfolger des Zivildienstes eingeführte Bundesfreiwilligendienst mehr Bewerber als freie Plätze verzeichnet? Warum sind Millionen Menschen bereit zu ehrenamtlichen Tätigkeiten und Nachbarschaftsdiensten? Hausarbeit und Kindererziehung sind weitere Beispiele für Beschäftigungen, die unentgeltlich erbracht werden. Ohne diese unbezahlte Wertschöpfung könnte die Gesellschaft nicht existieren. Sie steht jedoch nicht auf der Rechnung unserer Schulökonomen. Jene halten lieber am üblichen Menschenbild fest, nach dem der Mensch ein Wesen ist, das man nur mit der Aussicht auf Belohnung wie andererseits mit der Androhung von Sanktion zur gesellschaftlich notwendigen Arbeit treiben kann. Was bringt jedoch eine halbe Million griechischer Angestellter dazu, ihrer Beschäftigung trotz ausbleibender Lohnzahlungen fortzusetzen? Wer zwingt sie?

Im folgenden bemühen Flassbeck & Co. sich, uns über die Rolle des Geldes aufzuklären. Das Geld hätte keinen Wert, wenn es nicht gegen Güter und Dienstleistungen eingetauscht werden könne. Es dürfe nicht nur konsumiert, sondern müsse auch produziert werden. Wesentlicher Faktor sei dabei die Arbeitszeit. In der arbeitsteiligen Gesellschaft behalte das Geld seinen Wert dadurch, dass nach dem Verbrauch produzierter Güter diese Zeit wieder eingesetzt werde, neue Güter zu produzieren. Wenn sich von heute auf morgen mehrere Leute bequem zurücklehnten, nur noch konsumierten und nichts mehr produzierten, verlöre das Geld seinen Wert.

Ausschweifende Erklärung, lapidarer Sinn: Bei Einführung des bedingungslosen Grundeinkommens hörten so viele auf, produktiv zu sein, also zu arbeiten, dass die Güterversorgung gefährdet sei. Es geht eben nicht ohne Druck und Zwang, soll uns von gelehrter Warte zwischen den Zeilen gebetsmühlenartig weis gemacht werden. Das ist im Prinzip nichts Neues. Ebenfalls nicht ganz neu ist die Verpackung durch ökonomische Schulweisheiten. Diese konstruieren ein Idealbild bzw. einen Soll-Anspruch an das bestehende Umverteilungssystem, den sein Ist-Zustand immer deutlicher Lügen straft, sofern er ihn überhaupt jemals erfüllt hat.

Mit Recht verweisen Flassbeck & Co. darauf, dass Geld nur etwas wert ist, wenn es gegen Güter und Dienstleistungen getauscht werden kann. Sie werfen dem Grundeinkommen vor, dieses Tauschverhältnis zu untergraben. Tatsächlich ist es schon lange untergraben: Nur ein geringer Bruchteil der weltweit umlaufenden Devisen und Wertpapiere ist durch die Produktion von Gütern und Dienstleistungen gedeckt. Eigentlich besteht der gesamte Geldbereich aus einer gigantischen Blase. Diese bekommt immer gewaltigere Risse, wie man an den letzten Krisen erkennen konnte. Nicht zuletzt aufgrund der immensen globalen Ungleichverteilung von Vermögen und Einkommen. Wenige haben Zuviel, viele haben Zuwenig. Ein Aspekt, den unsere Schulökonomen ganz außen vor lassen.

Das System hat sich in eine Sackgasse manövriert. Und mit ihm die theoretischen Konstrukte, die es stützen. Gleich ob sie neoliberal-angebotsfixiert oder keynesianisch-nachfrageorientiert daher kommen. Der Tunnelblick etablierter Ökonomen wie Flassbeck weist keinen Ausweg aus der Krise. Wesentliche Faktoren, wie die Ersetzung menschlicher Arbeitskraft durch Technik und den Wert unbezahlter Arbeit, haben unsere Schulgelehrten nicht auf ihren Zetteln stehen. Kein Wunder, dass sie sich verzetteln. Schlussendlich lässt sich ihren Ausführungen nur eine Grunderkenntnis entnehmen: Es ist die herrschende Umverteilungsmaschine, die nicht ohne Druck, Zwang und Fremdbestimmung auskommt.

Es ist vermessen, daraus den Schluss zu ziehen, dass jegliches ökonomisches Tätigsein solcher Bedingungen bedarf, so dass Bedingungslosigkeit automatisch zu Untätigkeit führt. Das zeigt nur: Die Autoren können sich eine andere Form des Wirtschaftens, die auf Selbstbestimmung basiert, nicht vorstellen. Kein Wunder, wenn Politiker, die von solchen Experten beraten werden, von der Alternativlosigkeit ihrer Politik reden. Und dazu tendieren, den Ist-Zustand zu ignorieren oder schön zu färben.

Der Ist-Zustand der sogenannten »Marktwirtschaft«, die man aufgrund der Machtverhältnisse auf den Märkten besser als Monopolkapitalismus bezeichnet, ist bedenklich. Man könnte von fortgeschrittenem Endstadium sprechen. Er legt einen baldigen Systemwechsel nahe. Ansonsten bleibt nur ein Ausweg, um veraltete Strukturen aufzubrechen und neue Märkte zu eröffnen: Krieg. Das erzählen uns keine Theoretiker, sondern die Geschichte.


Harald Schauff ist verantwortlicher Redakteur der Kölner Arbeits-Obdachlosen Selbsthilfe-Mitmachzeitung »Querkopf«, die für 1,50 Euro auf der Straße verkauft wird. Diesen Artikel hat er in der aktuellen Ausgabe des »Querkopf« veröffentlicht.

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