Kölner Initiative Grundeinkommen

Jürgen Rüttgers „Leistung muss sich lohnen“

Hartz IV sei in sich nicht stimmig, sagt der nordrhein-westfälische Ministerpräsident Jürgen Rüttgers im F.A.Z.-Interview. Auf Schritt und Tritt werde gegen das Grundprinzip der Sozialen Marktwirtschaft verstoßen. Wenn das korrigiert sei, solle man der Sache auch einen neuen Namen geben.

(…)

Für Erhard war schon Adenauers Sozialpolitik - etwa die Rentenformel - unverantwortlich. Für Sie ist sogar Gerhard Schröder zu unsozial gewesen.

Ja, ich war einer der Ersten, die gesagt haben, dass Hartz IV nicht funktioniert. Dafür habe ich sehr viel öffentliche Schelte bekommen.

Was genau hatten Sie daran auszusetzen?


Nicht die Idee, die Sozialsysteme zusammenzulegen - die war richtig. Und die Tatsache, dass wir sie jetzt bei den Jobcentern wieder ein Stück auseinandernehmen, halte ich für einen bedauerlichen Rückschritt. Der Hauptfehler war, dass eines der tragenden Ordnungsprinzipien der Sozialen Marktwirtschaft, nämlich das Leistungsprinzip, mit Füßen getreten wurde. Das führte dazu, dass alle sich ungerecht behandelt fühlen, obwohl es Milliarden mehr kostet. Und deshalb ist es auch falsch, jetzt die Gelder der aktiven Arbeitsmarktpolitik zu kürzen.

Von Ihnen kamen viele einzelne Korrekturvorschläge, aber nie ein Gesamtkonzept.

Das Gesamtkonzept war immer: Leistung muss sich lohnen. Wenn jemand lange einzahlt in die Arbeitslosenversicherung, muss der mehr bekommen als der, der nur kurze Zeit eingezahlt hat. Wer etwas fürs Alter zurückgelegt hat, den kann man nicht zwingen, das zuerst alles aufzubrauchen, um am Schluss in Altersarmut zu landen - genau wie der, der nie was zurückgelegt hat. Das kann nicht richtig sein. Oder nehmen Sie die Alleinerziehenden: Mehr als die Hälfte von ihnen bekommt drei Jahre ununterbrochen Leistungen. Eigentlich sind das ja dann Langzeitarbeitslose. In diese Kategorie gehören sie aber nicht hinein, weil sie dem Arbeitsmarkt nur vorübergehend nicht zur Verfügung stehen. Die Vorschriften der Hartz-Gesetze sind nicht stimmig. Deshalb brauchen wir eine Grundrevision.

Was schlagen Sie vor?

Wir haben in Deutschland 2,2 Millionen Kinder in Einelternfamilien. In Nordrhein-Westfalen ist die Quote zwischen 1996 und 2007 von 10,5 auf 14,5 Prozent gestiegen. In neun von zehn Fällen handelt es sich um alleinerziehende Mütter. Und vierzig Prozent aller alleinerziehenden Mütter leben von Hartz IV. Alleinerziehende Mütter tragen mit das größte Armutsrisiko in Deutschland. Es kann nicht sein, dass die Entscheidung fürs Kind bestraft wird. Solange wir das nicht geregelt bekommen, ist dieses Land nicht kinderfreundlich. Wir brauchen mehr Kindertagesstätten, mehr Ganztagsplätze und mehr Hilfen beim Wiedereinstieg in den Beruf. In Nordrhein-Westfalen haben wir viel für die Kinderbetreuung getan. Aber da muss auch überall mehr geschehen. Auch in den Fällen, wo die Väter nicht für den Unterhalt aufkommen, müssen wir etwas tun. Derzeit wird der Unterhaltsvorschuss maximal für 72 Monate und nur bis zum zwölften Lebensjahr gewährt. Die neue Bundesregierung will das bis zum 14. Lebensjahr verlängern, das begrüße ich. Aber das reicht nicht. Ich wünsche mir mittelfristig eine Verlängerung bis zum 18. Lebensjahr. Am besten wäre eine Regelung analog zum Kindergeld. Wer sich für Kinder entscheidet, darf nicht zur Armut verurteilt werden.

Wo sehen Sie noch Anpassungsbedarf?

Die Landesregierung Nordrhein-Westfalens setzt sich seit längerem dafür ein, dass die Leistungen für Kinder bedarfsgerecht ermittelt werden. Jetzt werden dafür nur Prozentsätze der Leistungen für Erwachsene angesetzt. Wer Kinder hat, der weiß zum Beispiel, dass sie mit zwölf, dreizehn Jahren häufiger einen Wintermantel brauchen.

Wann soll die Generalrevision der Hartz-Gesetze kommen?

Grundrevision, bitte. Ich habe ein bisschen abgerüstet, um es anderen leichter zu machen. Ich glaube, die kommt in den nächsten Monaten Schritt für Schritt. Wir müssen uns das Ganze noch einmal von den tragenden Prinzipien her anschauen, und dann, wenn ein besseres und sozialeres System beschlossen ist, sollte man der Sache auch einen neuen Namen geben.

Wie weit soll das gehen?

Es geht mir, kurz gesagt, um das Schonvermögen, um kindergerechte Hartz-IV-Sätze, um eine Neuregelung bei den Kosten der Unterkunft und um Hinzuverdienstmöglichkeiten, damit der Ausstieg aus Hartz IV in den Arbeitsmarkt besser gelingt. Das Wichtigste ist, dass das Prinzip "Leistung muss sich lohnen" wieder deutlicher wird im System.

Haben wir nicht längst das bedingungslose Grundeinkommen - nur mit einer riesigen Bürokratie, die das mit hunderterlei Bedingungen verknüpft?

Es gehört auch zur Gerechtigkeit, dass man nicht einfach bedingungslos Staatstransfers organisiert, egal ob die Leute über ein größeres Vermögen verfügen oder nicht oder noch andere Ansprüche da sind.

Sie sind ja auch ein Freund des Bürokratieabbaus. Wie weit soll das noch gehen, dass sich Leute, die auf Unterstützung angewiesen sind, in ihre privatesten Verhältnisse hineinleuchten lassen müssen? Wäre es nicht besser, die Grundversorgung bedingungslos zu gewähren?

Sie wollen auf das Bürgergeld hinaus. Das haben wir in den Koalitionsverhandlungen diskutiert. Ein Problem ist, dass wir auf absehbare Zeit das Geld dafür nicht haben werden.

(…)

Quelle: FAZ, 8. Januar 2010

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