Kölner Initiative Grundeinkommen

Von Harald Schauff*

Kein Vertun, die Ablehnung war deutlich: Fast 80 % der Schweizer Referendums-Teilnehmer stimmten am 5.Juni gegen die Einführung eines bedingungslosen Grundeinkommens im Alpenland. Einige Grundeinkommensbefürworter sprachen von einem »Achtungserfolg«. Andere, die vielleicht keine Mehrheit, doch zumindest einen knapperen Ausgang erhofft hatten, empfanden das Ergebnis als »niederschmetternd«. Das klingt reichlich übertrieben. Allein das Grundeinkommen zur Abstimmung zu bringen, war bereits ein großer Schritt. Mehr, sprich ein großer Sprung, war nicht zu erwarten. Das über Jahrhunderte in den Köpfen tief verwurzelte protestantische »Ohne Arbeit kein Essen«- Dogma lässt sich selbst durch aufwendigste Aufklärungskampagnen nicht über Nacht aus den Köpfen vertreiben. Schon gar nicht in der calvinistisch geprägten Schweiz.

Ein Übriges tut die Borniertheit der in westlichen Ländern ausdünnenden, gleichwohl immer noch breiten Mittelschichten. Deren Mentalität brachte die Satire-Sendung »Die Anstalt« (ZDF) vor einigen Monaten treffsicher auf den Punkt: Bevor sich die »goldene Mitte« gegen wachsende Armut und Ungerechtigkeit stemmt, zieht sie lieber weiter den Karren der Reichen und Privilegierten. Traditionell liebäugelt sie mit dem Gedanken, selbst reich zu werden, etwa durch Karriere, Erbe oder Lottogewinn. Deshalb will sie allem Gemecker zum Trotz die Reichen nicht vergrätzen, sondern betrachtet lieber die Armen als Sozialschmarotzer, die es sich auf ihre Kosten gut gehen lassen. Denen einfach so Geld nachschmeißen ohne Gegenleistung? Nie im Leben! Die haben es doch schon bequem genug in ihrer von der arbeitenden Bevölkerung finanzierten Hängematte.

Großverdiener dürfen dagegen als »Leistungsträger« ruhig ein Zigfaches der Durchschnittsgehälter verdienen. Sonst wandern sie am Ende noch aus. Deswegen stimmte die Mehrheit der Schweizer Bevölkerung letztes Jahr gegen eine Begrenzung der Spitzengehälter. Der Zusammenhang mit der klaren Ablehnung des Grundeinkommens wird deutlich. Wo nicht jeder viel verdienen und reich werden kann, warum soll dann jedem bedingungslos das Existenzminimum gewährt werden?

Die »vernünftige Entscheidung« der Schweizer erntete bereits im Vorfeld Applaus aus der Ecke der Grundeinkommensgegner. Die Schweizer seien klug genug, sich nicht auf dieses »krude Sozialexperiment« einzulassen, hieß es in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung (FAZ) vom 3.6.16. Die üblichen »Vernunftgründe« wurden angeführt, u.a. Zweifel an der Finanzierbarkeit: Alle gängigen Modelle würden mit kräftigen Steuererhöhungen kalkulieren. Mehrwertsteuersätze bis 50 % würden vom Monatsgehalt nicht viel übrig lassen. Oder es gäbe »abschreckende Einkommenssteuersätze« auf monatliche Zusatzverdienste.

Im Ergebnis würde der Staat die Motivation, »sich fortzubilden und zu arbeiten« gleich doppelt ausbremsen. Denn einerseits locke er mit der »Hängematte des Grundeinkommens« bzw. dem »unmoralischen Angebot nicht zu arbeiten«. Andererseits käme er denen, die sich trotzdem anstrengen wollten, mit der »Steuerkeule«. Je weniger Bürger bereit wären zu arbeiten, desto schärfer wäre der politische Druck, das Grundeinkommen stetig zu erhöhen. Diese Dynamik führe eher in eine »sozialistische Mangelwirtschaft« als ins angestrebte Paradies.

Paradies? Hängematte? Es geht lediglich darum, das Existenzminimum vorbehaltlos zu gewähren. Das scheinen die »FAZkes« nicht begreifen zu wollen. Sie schwingen vor ihren vermeintlich klugen Leserköpfen lieber die Klischee-Keule. Das Grundeinkommen zerstöre den Leistungsgedanken und den Wettbewerb, beklagt das »GeFAZzel«.

Von Wegen. Es zerstört etwas Anderes: Die fest gefahrene Vorstellung, Leistung könne nur unter Druck und Zwang abgepresst werden. Dabei stimmt das Gegenteil: Freiwillig erbracht kommt sie erst richtig zur Geltung. Frei getan ist gern und gut getan. Pate dafür stehen nicht nur die »kruden Sozialexperimente« mit dem Grundeinkommen in Namibia, Brasilien und mehreren Einzelpersonen hierzulande, sondern auch die Masse der unentgeltlich geleisteten Tätigkeiten in Familien, Freundeskreisen, Nachbarschaften und Ehrenämtern. Hier befindet sich die wahre, nicht wahr genommene Schattenwirtschaft, ohne welche die Gesellschaft nicht existieren könnte. Doch wie heißt es so schön? Die im Schatten sieht man nicht. Schon gar nicht, wenn die Scheuklappen des Leistungs-(zwangs)-prinzips die freie Sicht behindern.

Zum Ende hin stellen die »FAZler« wenigstens fest, dass es in den Sozialsystemen der Industrieländer vieles zu verbessern gäbe, weil das Geld oft nicht da ankomme, wo es am dringendsten benötigt würde.
Ach was, sagt bloß …!
Wo landet das liebe Geld denn? In Armutsindustrien, aufgeblähten Bürokratien und wenigen, bereits überfüllten Taschen.

Angesichts dieser Situation ist das Grundeinkommen vielleicht doch keine bloße Utopie, der zahlreiche »Jünger« nachjagen, sondern eine zukunftstaugliche Option, um ein längst notwendiges Umdenken, Umsteuern und Umverteilen in der Gesellschaft in die Wege zu leiten. Wie schnell im Falle einer schweren Krise auch auf politischen Führungsebenen in diese Richtung gedacht wird, zeigte sich während des Finanzcrashs 2008. Damals regte die heutige Arbeits- und Sozialministerin Andrea Nahles (SPD) kurzzeitig an, Konsumgutscheine von 400 Euro unter der Bevölkerung zu verteilen, um die Nachfrage anzukurbeln. Weil der Einbruch nicht länger anhielt, war der Vorschlag schnell vom Tisch. Inzwischen kursieren bei der Europäischen Zentralbank (EZB) ähnliche Überlegungen: »Helikoptergeld« soll die schleifende europäische Konjunktur beleben. Peu a peu lenkt der wirtschaftliche Druck die Gedanken Richtung Grundeinkommen. Die Bedingungslosigkeit wirkt dabei wie der geringste Störfaktor.

Harald Schauff ist verantwortlicher Redakteur der Kölner Arbeits-Obdachlosen Selbsthilfe-Mitmachzeitung »Querkopf«, die für 1,50 Euro auf der Straße verkauft wird. Diesen Artikel hat er in der aktuellen Ausgabe des »Querkopf« veröffentlicht.

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