Kölner Initiative Grundeinkommen

Vergebliche Jobsuche macht Arbeitslose fertig

Wer arbeitet, sei der Depp der Nation, wetterte kürzlich FDP-Chef Guido Westerwelle und stieß damit eine Debatte an, die Deutschland polarisiert. Ein Psychologe provoziert nun mit der These, dass es für Arbeitslose besser sein kann, die Jobsuche aufzugeben. Die Wissenschaftler nennen stichhaltige Gründe.

Würde es nach Westerwelle gehen, sollen junge Arbeitslose, die Hartz IV beziehen, künftig etwas für das Geld leisten. Hannelore Kraft, die SPD-Spitzenkandidatin im Landtagswahlkampf in Nordrhein-Westfalen, will Arbeitslose künftig zu gemeinnützigen Arbeiten heranziehen, wie in Altenheimen oder Sportvereinen.

In der Diskussion geht es vor allem um Geld, Leistung, Rentabilität. Und darum, dass die Betroffenen zu wenig Einsatz zeigen, eine Stelle zu finden. Sie geben auf, bewerben sich einfach nicht mehr. Genau das kann aber der richtige Weg sein, sagt der Psychologe Martin Tomasik, der an der Friedrich-Schiller-Universität Jena forscht. Er hat in seiner Dissertation untersucht, warum es besser sein kann, aufzugeben.

„Es ging mir darum, objektive Kriterien dafür zu finden, ab wann sich individuelles Disengagement auszahlt“, sagt Tomasik über die Zielsetzung seiner Arbeit. Das Prinzip „immer weitermachen“, trotz unzähliger Bewerbungen und Absagen, ist nach Tomasiks Erkenntnissen nicht förderlich.

„Denn unter solchen Voraussetzungen nützen auch massenhafte Bewerbungen oft wenig“, sagt der Psychologe. Ab diesem Punkt zahlt sich „Disengagement“ aus. Das bedeutet für ihn, rechtzeitig von den unrealistischen Zielen abzulassen und sich das Scheitern einzugestehen. Das bewahre die Menschen davor, durch die ständigen Misserfolge krank und depressiv zu werden.

Vielmehr setzen diese Menschen Ressourcen frei, die an anderer Stelle sinnvoller investiert werden können, sagt Tomasik, der für seine Arbeit den Studienpreis der Körber Stiftung erhielt. Er fand sogar heraus, dass diejenigen, die aufgeben, sich anschließend verstärkt im Vereinsleben, im Ehrenamt oder im Pfarrgemeinderat engagieren. SPD-Kandidatin Hannelore Kraft dürfte sich freuen, das zu hören.

Tomasik untersucht, wie sich Globalisierung und sozialer Wandel auf die Gesellschaft auswirken – oder wie der Projektleiter, Rainer K. Silbereisen, zu sagen pflegt: „Bei den Menschen direkt an der Haustür ankommt.“ Tomasik befragte 800 Personen, wie sie mit Herausforderungen umgehen und wie zufrieden sie mit ihrem Leben sind.

Die Testpersonen aus einer Gesamtstichprobe von 3000 Befragten waren besonders vielen Anforderungen ausgesetzt: Sie hatten eine eher geringe Bildung, waren häufiger arbeitslos oder aus den ostdeutschen Bundesländern. Diese Ergebnisse setzte der Psychologe in Beziehung zu statistischen Angaben der Region, wie die Wirtschaftskraft oder die Arbeitslosenquote.

80 Landkreise in den alten und neuen Bundesländern hat er verglichen. 50 Prozent der Bevölkerung stimmten der Aussage „es gibt für mich weniger Arbeitsplätze“ sehr stark zu. Tomasik kommt zu dem Ergebnis, dass Menschen, die in wirtschaftlich schwachen Regionen leben, tatsächlich zufriedener sind, wenn sie unerreichbare Ziele gar nicht erst verfolgen. Damit würden sie sich nicht auf ihr eigenes Versagen konzentrieren, sondern ihr Scheitern mit den fehlenden Möglichkeiten begründen, wie dem Mangel an freien Stellen. Laut Martin Tomasik würden etwa 10 Prozent der erwachsenen Bevölkerung von diesem Disengagement profitieren.

Der Historiker Stefan Zahlmann, der an der Universität Konstanz forscht und ein Buch über „Autobiographische Verarbeitungen gesellschaftlichen Scheiterns“ geschrieben hat, findet Tomasiks Arbeit „sehr ehrlich.“ Sie sei ungewöhnlich, da sie, so wie der Vorstoß der SPD, nicht das Gefühl vermittle, dass es für jeden einen Platz auf dem ersten Arbeitsmarkt gebe.

„Damit dürfte sie auf allgemeine Ablehnung in der Politik stoßen“, sagt Zahlmann. Denn diese Annahme breche mit der Fiktion – und der Hoffnung – es sei mit den bestehenden beschäftigungspolitischen Maßnahmen möglich, in dieser Arbeitswelt jedem Arbeitssuchenden einen Platz zu schaffen. „Doch das ist ein Teil der selbstliebenden Politik. Sie profitiert davon, so zu tun, als wäre es so. Dann hat sie so etwas wie eine Kompetenz und Macht, die sie einsetzen kann."

Zahlmann sieht das Besondere in diesem Ansatz, dass „die Instanz, die über das Scheitern urteilt in der Person des gescheiterten Menschen selbst liegt. Damit „maßt“ sich dieser Mensch an, tatsächlich eines der grundlegenden Prinzipien der Moderne, nämlich „Freiheit“, auf sich selbst anzuwenden."

Es sind also nicht mehr länger die Kirche, die Wissenschaftler oder die Politiker, welche die Maßstäbe eines erfolgreichen Lebens definieren, sondern der Betroffene selbst, der frei entscheidet. „Das ist ein Akt, der den Menschen emanzipiert, da er sich von den Bewertungsansprüchen Anderer befreit“, so Zahlmann.

Das gelingt nicht immer. Besonders die Medien würden zwei Gegensätze vermitteln: „Entweder Hartz IV oder weltberühmt“. Dazwischen gebe es fast gar nichts mehr. „Hop oder top“, sagt Zahlmann. Wie bei „Deutschland sucht den Superstar“: Dort gebe es nur eine Chance für Kandidaten, weiterzukommen. Doch auch sie scheitern, so wie jeder normale Mensch.

Quelle: Welt Online, 10. März 2010

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