Kölner Initiative Grundeinkommen


Ein Abend mit Karl Widerquist im Café Central


von Philipp Sandner. Zuerst erschienen am 8. Oktober 2011 bei KölnGlobal. Mit freundlicher Genehmigung des Autors.

„Guilty on both charges: I‘m an economist and an American“ („Schuldig in beiden Anklagepunkten: Ich bin Ökonom und Amerikaner“) – Karl Widerquist ist ein Mann mit Humor. Und er ist ein Mann mit hohen Zielen. Er vertritt einen Ansatz, der in krassem Gegensatz steht zum heutigen neoliberalen Wirtschaftsmodell, das Menschen über ihre Leistung definiert. Karl Widerquist, promovierter Volkswirt und Politikwissenschaftler, ist Verfechter des bedingungslosen Grundeinkommens. In seiner Funktion als Mitbegründer des US-Netzwerks für ein Grundeinkommen (USBIG) und Vorsitzender des Basic Income Earth Network (BIEN) war Widerquist am 29. September auf Einladung der Kölner Initiative Grundeinkommen e.V. zu Gast im Kölner Café Central, um eine globale Perspektive auf das Thema zu bieten.

Grundeinkommen: Eine alte Idee

Die Idee eines Grundeinkommens ist nicht neu: Schon der britische Philosoph Bertrand Russell formulierte im Jahr 1916 die Maxime, dass ein kleines Einkommen, groß genug zur Deckung der grundlegenden Bedürfnisse, allen zur Verfügung stehen solle, unabhängig davon, ob sie arbeiten oder nicht. Tatsächlich, so Widerquist, wurde das Grundeinkommen, wie es heute vielerorts gefordert wird, erst nötig durch die Einführung der Besitzrechte und die damit einhergehende stückweise Privatisierung unseres Planeten. Vor dem Siegeszug der Idee privater Besitzrechte war es die Natur, die eine Art „Grundeinkommen“ für alle garantierte: Pflanzen und Tiere standen allen Menschen gleichermaßen zur Verfügung. So wurden die Mitglieder alter Jäger-Sammler-Kulturen, auch wenn sie sich nicht mit materiellem Reichtum umgaben, nie in eine extreme Armut hineingeboren. Diese extreme Armut und Chancenlosigkeit ist ein Produkt der heutigen Besitzrechtsgesellschaft. In dem Moment, wo Besitzrechte den öffentlichen Zugang zu Ressourcen verwehren, muss eine andere Form der bedingungslosen Existenzsicherung garantiert sein. Dies ist der Gedanke eines bedingungslosen Grundeinkommens.

Ein Grundeinkommen, wie es von BIEN gefordert wird, ist ein Einkommen, das alle Menschen erhalten – unabhängig von möglichen anderen Einkünften und losgelöst von ihrer Bereitschaft, zu arbeiten. Ein volles Grundeinkommen in dieser Art hat bisher kein Staat eingeführt, aber die Idee ist gar nicht so weit hergeholt, wie es zunächst scheinen mag: universelle Bildung, kostenlose Gesundheitsversorgung und staatliche Mindestrente beruhen auf dem gleichen Prinzip, und selbst öffentliche Verkehrswege und Ampeln funktionieren so – mit der Einschränkung, dass es sich in allen Punkten um viel konkretere und zweckgebundene Zuwendungen handelt. Heute gibt es in einigen Ländern Versuche, ein Grundeinkommen einzuführen. Wurde das bedingungslose Grundeinkommen in einigen Fällen in Form eines „Basic Food Income“ auf Nahrung beschränkt, so wird es inzwischen meist in Form von Bargeldzahlungen durchgeführt. In Brasilien und Namibia laufen Modellprojekte. Im Iran hat sich eine Art Grundeinkommen aus einer Not heraus entwickelt: Während das Land zunächst aus einem Teil der Gewinne aus seinen Ölexporten den lokalen Verbrauch subventionierte, war dieses Verfahren, das die Spritpreise im Land auf ein Minimum drückte und damit den Verbrauch unverhältnismäßig ankurbelte, nicht sehr nachhaltig. Aus dem politischen Bedürfnis für höhere Preise erwuchs die Frage, wie die Gewinne anders einzusetzen seien, und so kam es zu einer – bisher einmaligen – Auszahlung an alle Staatsbürger.

Erfolgsmodell Alaska

Die Realisierbarkeit und der Erfolg eines bedingungslosen Grundeinkommens zeigen sich am Beispiel Alaskas, das seit nahezu drei Jahrzehnten ein vergleichbares Modell erprobt. Im achten Artikel seiner Verfassung legte Alaska 1959 fest, dass alle natürlichen Ressourcen des US-Staates dem größten Nutzen seiner Bürger dienen sollten. Als 1967 Öl im Norden Alaskas entdeckt wurde, stellte sich die Frage, wie das Land dauerhaften Nutzen daraus ziehen könnte. Unter Gouverneur Jay Hammond wurde schließlich 1976 aus den staatlichen Gewinnen ein Fonds eingerichtet, der so genannte „Alaska Permanent Fund“ (APF). Hammond war es auch, der die Idee einer jährlichen Gewinnausschüttung an die Bürger Alaskas ins Spiel brachte. So wurde 1982 festgelegt, dass 25% des Zinses aus dem APF als Dividende zu gleichen Teilen an alle Staatsbürger gezahlt werden sollte – die „Permanent Fund Dividend“ (PFD) war geboren. Es profitiert jeder Staatsbürger, der bereits länger als ein Jahr in Alaska wohnt und ein entsprechendes Formular ausgefüllt hat; Eltern erhalten das Geld für ihre minderjährigen Kinder. Die Höhe der jährlichen Pro-Kopf-Auszahlung lag zumeist bei 1000 - 2000 Dollar, mit einem bisherigen Höchstwert von 3269 Dollar (2008, kurz vor Beginn der Wirtschaftskrise). Die PFD ist ein Erfolgsmodell: Heute ist Alaska ein Staat mit einer verhältnismäßig niedrigen Arbeitslosenquote und sinkender sozialer Ungleichheit – der einzige in den USA. Die Dividende erfreut sich in Alaska einer großen Beliebtheit, die über alle Parteigrenzen hinweggeht. Die Bürger selbst wurden 1998 in einem Referendum vor die Wahl gestellt, die PFD abzuschaffen – damals votierten 83% gegen die Abschaffung. Hammond, der 2005 verstarb, hat den Ruf eines Helden. Und es gibt Versuche, Alaskas Modell auf andere Staaten wie Irak und die Mongolei anzuwenden.

Wie lässt sich ein Grundeinkommen durchsetzen?

Lehren aus Alaska Widerquist zieht sechs Schlüsse aus den Erfahrungen in Alaska. Zuerst betont er die Popularität und die Machbarkeit eines derartigen Grundeinkommens. Denn der Fall Alaska zeigt vor allem eines: die Dividende wird nicht als Sozialhilfe abgetan. Wenn alle Bürger einen einheitlichen Betrag bekommen, erübrigt sich eine solche Kritik. Vielmehr hat die Dividende einen breiten Rückhalt in allen Gesellschafts- und Einkommensschichten. Was dann mit dem Geld geschieht, ist schließlich jedem selbst überlassen.

Zweitens setzt ein solches Modell keinen reichen Staat voraus. Alaska gehört in den USA zum oberen Durchschnitt, hat aber die Kapazitäten für den Fonds keineswegs ausgeschöpft. So fließt nur ein Viertel der Gewinne aus dem APF in die PFD – Jay Hammond selbst hatte das Doppelte gefordert. Außerdem, so betont Widerquist, gibt es auch andere Ressourcen als Öl – auch so genannte „ressourcenarme“ Länder haben etwa die Ressource Land zur Verfügung. Und schließlich gebe es immer noch die Möglichkeit, ein Grundeinkommen auf Steuern umzulegen.

Der dritte Punkt ist die Kunst des richtigen Moments. Es ist fast unmöglich, ein Grundeinkommen durchzusetzen, wenn dazu in bestehende Verträge eingegriffen werden müsste. Aber es gibt immer wieder Momente, in denen Staaten Bedingungen stellen können. Die Klimapolitik bietet gerade eine historische Chance. Die Gier nach fossilen Rohstoffen und einen umweltschädlichen Lebensstil wird sich mancher etwas kosten lassen.

Dies setzt viertens ein Umdenken voraus: Statt sich von großen Konzernen unter wirtschaftlichem Zugzwang zu fühlen und sich unter Wert zu verkaufen, sollten Staaten sich als Besitzer verstehen – und mehr noch, als Monopolisten. Norwegen ist ein Beispiel: der Ölabbau erfolgt dort unter ganz anderen Vorzeichen. Die Regierung gibt nicht so viele Fäden aus der Hand, überlässt die Gewinnabschöpfung nicht allein den Konzernen. Da Öl begrenzt ist und kein Standortwechsel wie etwa in der verarbeitenden Industrie möglich ist, lassen sich Firmen trotz höherer Steuerabgaben anlocken. Es braucht den Geschäftssinn eines Johnny Carson (amerikanischer Entertainer der 70er und 80er Jahre), der verstanden hat, dass sich nicht nur sein Produkt – die Tonight-Show – bezahlt macht, sondern dass es auch wertsteigernd sein kann, dieses sparsam zu dosieren. Die Norweger haben dies verstanden, und auch Ecuadors Initiative, internationale finanzielle Unterstützung für die Nichtförderung des Öls im Yasuní-Nationalpark zu gewinnen, zeigt neue Wege für den Umgang mit Rohstoffen auf.

Fünftens: ein erfolgreiches Projekt braucht seine Anhänger. Und sechstens: Eine Polarisierung der Gesellschaft ist zu vermeiden! Die PFD hat deshalb eine so große Anhängerschaft, weil Arme und Reiche gleichermaßen profitieren. Hierin liegt das Problem vieler Hilfsmodelle: Sie haben mächtige Lobbyisten gegen sich. Auch die PFD geht letzten Endes zu Gunsten der Armen, da sie sozialer Ungleichheit entgegenwirkt. Und die Bessergestellten könnten ja im Gegenzug über Steuern wieder zur Kasse gebeten werden. Aber es entsteht nicht der Eindruck einer einseitigen Unterstützung vermeintlicher „Sozialschmarotzer“.

Informieren, Diskutieren und Mitmachen

Was bleibt nach dem Abend, ist der Eindruck, dass das Grundeinkommen ein großes Potenzial hat. Aber gute Ideen brauchen eben ihre Zeit. Immerhin: Die verschiedenen Initiativen in einer Reihe von Ländern geben Grund zur vorsichtigen Hoffnung. Etwa die Hälfte der Gäste hat nach drei Stunden noch nicht genug und bleibt zur Diskussion. Die schweift oft ab, so vieles brennt einem unter den Nägeln bei der heutige Wirtschaftssituation. Karl Widerquist gibt sich erfreulich optimistisch, für ihn sind die Nationalstaaten nicht machtlos, sie müssen es nur verstehen, ihre Macht zu nutzen. Stimmen, die ein Grundeinkommen als sozialistisches Gedankengut abtun, können heute Abend nicht überzeugen. Vielmehr könnte man das Grundeinkommen doch geradezu als Antithese des Kommunismus verstehen, bemerkt eine Anwesende, da es individuell ausgezahlt wird und folglich Privatbesitz und persönliche Entscheidungsfreiheit in den Vordergrund stellt. Einer thematisiert den möglichen Missbrauch eines Grundeinkommens. Ein anderer gibt zurück, dass unverantwortlicher Umgang mit Geld nicht in erster Linie ein Problem der Armen sei, vielleicht noch mehr eins von denen, die zuviel davon haben. Umso ungerechter also, wenn diese in unserer Gesellschaft bevorzugt behandelt werden! Weiter steht das Problem im Raum, dass die Einführung eines Grundeinkommens, wenn sie nicht global vorangetrieben wird, regionale Unterschiede verschärfen könnte: Die Zuwanderung in Länder mit erfolgreichem Grundeinkommen könnte zunehmen und nationalistische Ideen in diesen zum Vorschein bringen. Doch Widerquist hält diese Angst für unbegründet: vielmehr regen positive Beispiele doch zur Nachahmung an. ATTAC fordert aus demselben Grund, ein Grundeinkommen zunächst in der südlichen Hemisphäre zu etablieren. Es kommt die Frage auf, ob viele verschiedene Ansätze die Idee zum Scheitern bringen könnten. Aber vielleicht liegt auch darin die Stärke. Weiterdiskutieren und Mitdenken, wäre ein Vorschlag.

Möglichkeiten dazu gibt es genug: etwa beim Kölner Stammtisch Grundeinkommen, an jedem 1. Donnerstag im Café Libresso, oder direkt bei der Kölner Initiative Grundeinkommen. Das USBIG hat einen Blog zum Beispiel Alaska und eine sehr ausführliche Linkliste. Und auch das BIEN sucht Mitstreiter auf deutschem Boden. Im September nächsten Jahres hält dieses übrigens seinen Kongress in München ab. Auch eine Gelegenheit, der Sache auf den Grund zu gehen.

Karl Widerqist im Café Central

„Guilty on both charges: I’m an economist and an American“ („Schuldig in beiden Anklagepunkten: Ich bin Ökonom und Amerikaner“) – Karl Widerquist ist ein Mann mit Humor. Und er ist ein Mann mit hohen Zielen.
Er vertritt einen Ansatz, der in krassem Gegensatz steht zum heutigen
neoliberalen Wirtschaftsmodell, das Menschen über ihre Leistung
definiert. Karl Widerquist, promovierter Volkswirt und
Politikwissenschaftler, ist Verfechter des bedingungslosen
Grundeinkommens. In seiner Funktion als Mitbegründer des US-Netzwerks
für ein Grundeinkommen (USBIG) und Vorsitzender des Basic Income Earth
Network (BIEN) war Widerquist am 29. September auf Einladung der Kölner
Initiative Grundeinkommen zu Gast im Kölner Café Central, um eine
globale Perspektive auf das Thema zu bieten.

Grundeinkommen: Eine alte Idee
Die Idee eines Grundeinkommens ist nicht neu: Schon der britische Philosoph Bertrand Russell formulierte im Jahr 1916 die
Maxime, dass ein kleines Einkommen, groß genug zur Deckung der
grundlegenden Bedürfnisse, allen zur Verfügung stehen solle, unabhängig
davon, ob sie arbeiten oder nicht. Tatsächlich, so Widerquist, wurde das
Grundeinkommen, wie es heute vielerorts gefordert wird, erst nötig
durch die Einführung der Besitzrechte und die damit einhergehende
stückweise Privatisierung unseres Planeten. Vor dem Siegeszug der Idee
privater Besitzrechte war es die Natur, die eine Art „Grundeinkommen“
für alle garantierte: Pflanzen und Tiere standen allen Menschen
gleichermaßen zur Verfügung. So wurden die Mitglieder alter
Jäger-Sammler-Kulturen, auch wenn sie sich nicht mit materiellem
Reichtum umgaben, nie in eine extreme Armut hineingeboren. Diese extreme
Armut und Chancenlosigkeit ist ein Produkt der heutigen
Besitzrechtsgesellschaft. In dem Moment, wo Besitzrechte den
öffentlichen Zugang zu Ressourcen verwehren, muss eine andere Form der
bedingungslosen Existenzsicherung garantiert sein. Dies ist der Gedanke
eines bedingungslosen Grundeinkommens.

Ein Grundeinkommen, wie es von BIEN gefordert wird, ist ein Einkommen, das alle Menschen erhalten – unabhängig von möglichen anderen Einkünften und losgelöst von ihrer Bereitschaft, zu arbeiten. Ein
volles Grundeinkommen in dieser Art hat bisher kein Staat eingeführt,
aber die Idee ist gar nicht so weit hergeholt, wie es zunächst scheinen
mag: universelle Bildung, kostenlose Gesundheitsversorgung und
staatliche Mindestrente beruhen auf dem gleichen Prinzip, und selbst
öffentliche Verkehrswege und Ampeln funktionieren so – mit der
Einschränkung, dass es sich in allen Punkten um viel konkretere und
zweckgebundene Zuwendungen handelt. Heute gibt es in einigen Ländern
Versuche, ein Grundeinkommen einzuführen. Wurde das bedingungslose
Grundeinkommen in einigen Fällen in Form eines „Basic Food Income“ auf
Nahrung beschränkt, so wird es inzwischen meist in Form von
Bargeldzahlungen durchgeführt. In Brasilien und Namibia laufen
Modellprojekte. Im Iran hat sich eine Art Grundeinkommen aus einer Not
heraus entwickelt: Während das Land zunächst aus einem Teil der Gewinne
aus seinen Ölexporten den lokalen Verbrauch subventionierte, war dieses
Verfahren, das die Spritpreise im Land auf ein Minimum drückte und damit
den Verbrauch unverhältnismäßig ankurbelte, nicht sehr nachhaltig. Aus
dem politischen Bedürfnis für höhere Preise erwuchs die Frage, wie die
Gewinne anders einzusetzen seien, und so kam es zu einer – bisher
einmaligen – Auszahlung an alle Staatsbürger.

Erfolgsmodell Alaska
Die Realisierbarkeit und der Erfolg eines bedingungslosen Grundeinkommens zeigen sich am Beispiel Alaskas, das seit nahezu drei
Jahrzehnten ein vergleichbares Modell erprobt. Im achten Artikel seiner
Verfassung legte Alaska 1959 fest, dass alle natürlichen Ressourcen des
US-Staates dem größten Nutzen seiner Bürger dienen sollten. Als 1967 Öl
im Norden Alaskas entdeckt wurde, stellte sich die Frage, wie das Land
dauerhaften Nutzen daraus ziehen könnte. Unter Gouverneur Jay Hammond
wurde schließlich 1976 aus den staatlichen Gewinnen ein Fonds
eingerichtet, der so genannte „Alaska Permanent Fund“ (APF). Hammond war
es auch, der die Idee einer jährlichen Gewinnausschüttung an die Bürger
Alaskas ins Spiel brachte. So wurde 1982
festgelegt, dass 25% des Zinses aus dem APF als Dividende zu gleichen
Teilen an alle Staatsbürger gezahlt werden sollte – die „Permanent Fund
Dividend“ (PFD) war geboren. Es profitiert jeder Staatsbürger, der
bereits länger als ein Jahr in Alaska wohnt und ein entsprechendes
Formular ausgefüllt hat; Eltern erhalten das Geld für ihre
minderjährigen Kinder. Die Höhe der jährlichen Pro-Kopf-Auszahlung lag
zumeist bei 1000 - 2000 Dollar, mit einem bisherigen Höchstwert von 3269
Dollar (2008, kurz vor Beginn der Wirtschaftskrise). Die PFD ist ein
Erfolgsmodell: Heute ist Alaska ein Staat mit einer verhältnismäßig
niedrigen Arbeitslosenquote und sinkender sozialer Ungleichheit – der
einzige in den USA. Die Dividende erfreut sich in Alaska einer großen
Beliebtheit, die über alle Parteigrenzen hinweggeht. Die Bürger selbst
wurden 1998 in einem Referendum vor die Wahl gestellt, die PFD
abzuschaffen – damals votierten 83% gegen die Abschaffung. Hammond, der
2005 verstarb, hat den Ruf eines Helden. Und es gibt Versuche, Alaskas
Modell auf andere Staaten wie Irak und die Mongolei anzuwenden.

Wie lässt sich ein Grundeinkommen durchsetzen? Lehren aus Alaska
Widerquist zieht sechs Schlüsse aus den Erfahrungen in Alaska. Zuerst betont er die Popularität und die Machbarkeit eines derartigen
Grundeinkommens. Denn der Fall Alaska zeigt vor allem eines: die
Dividende wird nicht als Sozialhilfe abgetan. Wenn alle Bürger einen
einheitlichen Betrag bekommen, erübrigt sich eine solche Kritik.
Vielmehr hat die Dividende einen breiten Rückhalt in allen
Gesellschafts- und Einkommensschichten. Was dann mit dem Geld geschieht,
ist schließlich jedem selbst überlassen.

Zweitens setzt ein solches Modell keinen reichen Staat voraus. Alaska gehört in den USA zum oberen Durchschnitt, hat aber die Kapazitäten für den Fonds keineswegs ausgeschöpft. So fließt nur ein Viertel der
Gewinne aus dem APF in die PFD – Jay Hammond selbst hatte das Doppelte
gefordert. Außerdem, so betont Widerquist, gibt es auch andere
Ressourcen als Öl – auch so genannte „ressourcenarme“ Länder haben etwa
die Ressource Land zur Verfügung. Und schließlich gebe es immer noch die
Möglichkeit, ein Grundeinkommen auf Steuern umzulegen.

Der dritte Punkt ist die Kunst des richtigen Moments. Es ist fast unmöglich, ein Grundeinkommen durchzusetzen, wenn dazu in bestehende Verträge eingegriffen werden müsste. Aber es gibt immer wieder Momente,
in denen Staaten Bedingungen stellen können. Die Klimapolitik bietet
gerade eine historische Chance. Die Gier nach fossilen Rohstoffen und
einen umweltschädlichen Lebensstil wird sich mancher etwas kosten
lassen.

Dies setzt viertens ein Umdenken voraus: Statt sich von großen Konzernen unter wirtschaftlichem Zugzwang zu fühlen und sich unter Wert zu verkaufen, sollten Staaten sich als Besitzer verstehen – und mehr
noch, als Monopolisten. Norwegen ist ein Beispiel: der Ölabbau erfolgt
dort unter ganz anderen Vorzeichen. Die Regierung gibt nicht so viele
Fäden aus der Hand, überlässt die Gewinnabschöpfung nicht allein den
Konzernen. Da Öl begrenzt ist und kein Standortwechsel wie etwa in der
verarbeitenden Industrie möglich ist, lassen sich Firmen trotz höherer
Steuerabgaben anlocken. Es braucht den Geschäftssinn eines Johnny Carson
(amerikanischer Entertainer der 70er und 80er Jahre), der verstanden
hat, dass sich nicht nur sein Produkt – die Tonight-Show – bezahlt
macht, sondern dass es auch wertsteigernd sein kann, dieses sparsam zu
dosieren. Die Norweger haben dies verstanden, und auch Ecuadors
Initiative, internationale finanzielle Unterstützung für die
Nichtförderung des Öls im Yasuní-Nationalpark zu gewinnen, zeigt neue
Wege für den Umgang mit Rohstoffen auf.

Fünftens: ein erfolgreiches Projekt braucht seine Anhänger. Und sechstens: Eine Polarisierung der Gesellschaft ist zu vermeiden! Die PFD hat deshalb eine so große Anhängerschaft, weil Arme und Reiche
gleichermaßen profitieren. Hierin liegt das Problem vieler Hilfsmodelle:
Sie haben mächtige Lobbyisten gegen sich. Auch die PFD geht letzten
Endes zu Gunsten der Armen, da sie sozialer Ungleichheit entgegenwirkt.
Und die Bessergestellten könnten ja im Gegenzug über Steuern wieder zur
Kasse gebeten werden. Aber es entsteht nicht der Eindruck einer
einseitigen Unterstützung vermeintlicher „Sozialschmarotzer“.

Informieren, Diskutieren und Mitmachen
Was bleibt nach dem Abend, ist der Eindruck, dass das Grundeinkommen ein großes Potenzial hat. Aber gute Ideen brauchen eben
ihre Zeit. Immerhin: Die verschiedenen Initiativen in einer Reihe von
Ländern geben Grund zur vorsichtigen Hoffnung. Etwa die Hälfte der Gäste
hat nach drei Stunden noch nicht genug und bleibt zur Diskussion. Die
schweift oft ab, so vieles brennt einem unter den Nägeln bei der heutige
Wirtschaftssituation. Karl Widerquist gibt sich erfreulich
optimistisch, für ihn sind die Nationalstaaten nicht machtlos, sie
müssen es nur verstehen, ihre Macht zu nutzen. Stimmen, die ein
Grundeinkommen als sozialistisches Gedankengut abtun, können heute Abend
nicht überzeugen. Vielmehr könnte man das Grundeinkommen doch geradezu
als Antithese des Kommunismus verstehen, bemerkt eine Anwesende, da es
individuell ausgezahlt wird und folglich Privatbesitz und persönliche
Entscheidungsfreiheit in den Vordergrund stellt. Einer thematisiert den
möglichen Missbrauch eines Grundeinkommens. Ein anderer gibt zurück,
dass unverantwortlicher Umgang mit Geld nicht in erster Linie ein
Problem der Armen sei, vielleicht noch mehr eins von denen, die zuviel
davon haben. Umso ungerechter also, wenn diese in unserer Gesellschaft
bevorzugt behandelt werden! Weiter steht das Problem im Raum, dass die
Einführung eines Grundeinkommens, wenn sie nicht global vorangetrieben
wird, regionale Unterschiede verschärfen könnte: Die Zuwanderung in
Länder mit erfolgreichem Grundeinkommen könnte zunehmen und
nationalistische Ideen in diesen zum Vorschein bringen. Doch Widerquist
hält diese Angst für unbegründet: vielmehr regen positive Beispiele doch
zur Nachahmung an. ATTAC fordert aus demselben Grund, ein
Grundeinkommen zunächst in der südlichen Hemisphäre zu etablieren. Es
kommt die Frage auf, ob viele verschiedene Ansätze die Idee zum
Scheitern bringen könnten. Aber vielleicht liegt auch darin die Stärke.
Weiterdiskutieren und Mitdenken, wäre ein Vorschlag. Möglichkeiten dazu
gibt es genug: etwa beim Kölner Stammtisch Grundeinkommen, an jedem 1. Donnerstag im Café Libresso, oder direkt bei der Kölner Initiative Grundeinkommen unter www.bgekoeln.de. www.usbig.net hat
einen Blog zum Beispiel Alaska und eine sehr ausführliche Linkliste.
Und auch das BIEN sucht Mitstreiter auf deutschem Boden: www.basicincome.org.
Im September nächsten Jahres hält dieses übrigens seinen Kongress in
München ab. Auch eine Gelegenheit, der Sache auf den Grund zu gehen.

Autor: Philipp Sandner

Seitenaufrufe: 69

Kommentar

Sie müssen Mitglied von Kölner Initiative Grundeinkommen sein, um Kommentare hinzuzufügen!

Mitglied werden Kölner Initiative Grundeinkommen

Kommentar von Henrik Wittenberg am 16. November 2011 um 1:26am

Karl Widerquist: Vortrag vom 30. September 2011

Auf seiner Vortragsreise durch Deutschland kam er dank Einladung der philosophischen Fakultät der Heinrich-Heine-Universität auch nach Düsseldorf. In seinem Vortrag sprach er sich für die Legitimität eines Grundeinkommens und das Recht auf wirtschaftliche Freiheit und Freiwilligkeit aus. Er ist zutiefst von der realen Zukunftschance des bedingungslosen Grundeinkommens überzeugt.

Videomitschnitt des Vortrages …

© 2024   Erstellt von Henrik Wittenberg.   Powered by

Ein Problem melden  |  Nutzungsbedingungen

googlebe0f018827859325.html