Kölner Initiative Grundeinkommen

Ein kleines Dorf in Namibia testet ein ungewöhnliches Entwicklungshilfe-Konzept - mit Erfolg

Windhuk/Johannesburg - Es sind die kleinen Erfolge, die im Dorf Otjivero Mut machen. Zwei der 1400 Bewohner haben ihre Hütten umgebaut und verkaufen dort Lebensmittel wie Öl oder Zucker. Ein paar Straßen weiter brennt ein Mann Zementsteine, in der Nähe verkauft eine Frau täglich 200 Brötchen. Viele an diesem Ort im Nirgendwo haben ihr kleines Unternehmen gestartet. Hier, eine gute Autostunde östlich von Namibias Hauptstadt Windhuk, entstehen Existenzen.

Manchmal, da staunt der Theologe und Wirtschaftswissenschaftler Dirk Haarmann selbst, wie groß der Effekt einer simplen entwicklungspolitischen Idee sein kann. Der 39-jährige Pastor aus Mettmann arbeitet zusammen mit seiner Frau Claudia in Windhuk. Seit dem Jahr 2007 helfen sie, als Teil eines Bündnisses aus Kirchen und Hilfsorganisationen, ein ungewöhnliches Pilotprojekt zu entwickeln.

100 Namibische Dollar monatlich, gut neun Euro, bekommt jeder Bürger Otjiveros, der unter 60 Jahre alt ist. Einfach so, ohne Bedingung, seit 23 Monaten schon - ein Experiment namens "Basic Income Grant" (BIG, Grundeinkommensstipendium), das Desillusionierte von der Entwicklungshilfe überzeugen soll.

"Ich hätte den Erfolg nicht für möglich gehalten", sagt Haarmann. Innerhalb eines halben Jahres sei der Anteil mangelernährter Kleinkinder von 42 auf 17 Prozent zurückgegangen. Die Schulen und Kindergärten würden nun funktionieren- und mit ihnen Existenzgründungen, die auch nach Projektende in fünf Wochen überlebensfähig seien.

Die Zahl der Selbständigen ist um 300 Prozent gestiegen, die der Arbeitnehmer immerhin um 17 Prozent. "Auch nach Abzug der neun Euro BIG ist das durchschnittliche Monatseinkommen von elf auf fast 14 Euro gestiegen", rechnet Haarmann vor. Das Dorf, wie auch ganz Namibia, werde parallel weiterhin traditionelle Entwicklungshilfe für Infrastrukturprojekte benötigen. Aber es sei ein Anfang gemacht, dass Menschen wie die in Otjivero auf "Augenhöhe stehen". Sprich: selber handeln können.

Haarmann gehört zu denen, die nicht mehr warten wollten auf das Handeln träger Politiker. Heute wählt Namibia sein neues Parlament, das wie immer seit der Unabhängigkeit im Jahr 1989 von der einstigen Befreiungsbewegung Swapo dominiert werden wird. Aktuell regiert die Partei mit einer Dreiviertel-Mehrheit - und entsprechend benahm sie sich auch im Wahlkampf.

Schon vor einigen Tagen wurden die früh abgegebenen Stimmen der Diplomaten und Seefahrer ausgezählt. Das Ergebnis - natürlich eine große Mehrheit für die Swapo - wurde schon vor der eigentlichen Wahl bekannt gegeben. Ein klarer Wettbewerbsvorteil. "Ihr müsst den Gewinner unterstützen", verkündete ein hochrangiger Politiker bei einer Kundgebung, "vergeudet eure Stimmen nicht für Verlierer." Das Staatsfernsehen gab den 13 Oppositionsparteien kaum mehr als ein paar Minuten Sendezeit. Und als deren Vertreter Norden des Landes Wahlkampf machen wollten, wurden sie von 200 Swapo-Anhängern eingeschüchtert.

Der Swapo gelang es, wie dem ANC im Nachbarland Südafrika, Namibia politisch stabil zu halten. Beide Länder einen aber auch die gescheiterten Versuche, die enormen sozialen Unterschiede der Apartheid-Jahre zu überwinden. "Viele Probleme basieren auf den Jahrzehnten der Rassentrennung", sagt Haarmann. "Aber man muss schon fragen, warum Ungleichheiten in diesem Maße weiterhin bestehen." Die letzte offizielle Arbeitslosenquote aus dem Jahr 2004 betrug 36 Prozent. Haarmann schätzt die aktuelle Zahl auf 50 Prozent: "Irgendwann entstehen Unruhen, und dann lässt sich das Thema nicht mehr konstruktiv diskutieren." Zu diesem Schluss war eigentlich auch die Regierung gekommen. Eine Kommission hatte im Jahr 2001 das BIG-Programm zur Bekämpfung der Armut vorgeschlagen. Doch die Swapo-Spitze konnte sich nicht einigen. Als die Idee zu versickern drohte, sprang die Zivilgesellschaft ein. Haarmann gibt sich kämpferisch: "In Otjivero wollen wir beweisen, dass es möglich ist."

Von den bislang rund 250 000 Euro Kosten hat die Regierung keinen Cent hinzugegeben - für die flächendeckende Umsetzung, so das Argument, gebe es ohnehin kein Geld. Doch Haarmann stützt sich auf Machbarkeitsstudien. Bei einem Drittel der Namibier, 650 000 Menschen, würden die neun Euro monatlich mühelos über Steuergelder wieder eingebracht. Die 130 000 Pensionäre sind nicht in dem Programm vorgesehen. So blieben 1,2 Millionen Menschen, deren BIG-Hilfen 140 Millionen Euro jährlich kosten würden. "Gerade einmal 5,6 Prozent des Staatsbudgets", argumentiert der Theologe. "Das zerstört doch keinen Haushalt."

Immerhin: Mit Vize-Präsident Hage Geindob gibt es einen Fürsprecher, der sogar privat gespendet hat. Auch in den Swapo-Gremien wurde das Thema immerhin diskutiert und Länder wie Indien, Bolivien und Brasilien haben Interesse gezeigt. Haarmann treiben vorerst die kleinen Erfolgserlebnisse an. Am Mittwoch sprach er mit einer Frau, die fünf Euro ihres ersten BIG-Geldes für eine simple Job-Anzeige nutzte. Der Theologe lächelt: "Seitdem hat sie einen festen Job in Windhuk."

Quelle: WELT ONLINE, 27. November 2009

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Kommentar

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Kommentar von Michael Harprecht am 1. Dezember 2009 um 3:40pm
Hallo Henrik,

Deine Info zu Namibia läßt mich jetzt einen Aufruf starten:

Dieser Artikel ist ein wunderbarer Hinweis das und wie BGE funktioniert.
Ich möchte deshalb meinen Vorschlag aus einem vergangenen Ini-Treffen wiederholen:


Laßt uns in Köln eine Initiative "BGE Namibia" starten, wie das Grundeinkommen in diesem Dorf in Namibia unabhängig von Großspendentöpfen weiter laufen kann. Das ist ein konkreter Beitrag aus Deutschland für den Beginn eines globalen Grundeinkommens. Wenn sich z.B. jeweils 2 Leute zusammen tun und jeder nur 5€ pro Monat gibt, dann ist das für einen Dorfbewohner ein Namibia-BGE.
Falls Du Kontakte dazu hast um rauszubekommen wie so etwas funktionieren kann bin ich Dabei. Ich bin auch bereit 10€/Monat nach Namibia zu senden. Damit werden wir Step by Step selbst der Garant für unser Grundeinkommen im globalen Maßstab und die Idee wächst und gedeiht und wird weiter den Boden bereiten für das Grundeinkommen in Deutschland. Letztendlich geht es bei uns in Deutschland ja nur noch darum die vielen unterschiedlichen Töpfe für soziale Absicherungen(ALG, Kindergeld, Wohngeld...) zu einem großen Topf des BGE zusammen zu fassen und die ganze Bürokratie der Verteilung einzusparen bzw. dramatisch zu vereinfachen.

Also wer hat Lust diese Initiative "BGE-Namibia" mit zu unterstützen, ganz im Sinne von M.Gandhi: "Sei selbst die Veränderung die du in der Welt sehen willst!,
der möge das bitte hier kundtun bzw. sich mit mir in Verbindung setzen...

Das BGE lebt durch uns
Herzliche Grüße Michael

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