Kölner Initiative Grundeinkommen

In dem kleinen brasilianischen Dorf Quatinga Velho haben Aktivisten ein Projekt gestartet, das die Wirksamkeit eines bedingungslosen Grundeinkommens in der Praxis erproben sollte. Die Ergebnisse sind überaus ermutigend: Die Menschen ruhen sich nicht in der «sozialen Hängematte» aus, sondern nehmen ihr Leben aktiv in die eigenen Hände.

In einem Waldorf-Gymnasium in München traten am 7. März zwei junge Leute aus Brasilien auf: Bruna Augusto Pereira und Marcus Vinicius Brancaglione dos Santosaus. Beide waren nicht nur gut aussehend, sondern wirkten ungemein lebendig und begeistert von dem, was sie zu erzählen hatten. Praktisch im Alleingang hatten sie in der kleinen Ortschaft Quatinga Velho bei Sao Paolo ein Projekt zum Bedingungslosen Grundeinkommen gestartet, das nunmehr seit 17 Monaten läuft. Die rund 100 Einwohner der Gemeinde sollten für unbegrenzte Zeit monatlich 30 Real (ca. 12 Euro) pro Person erhalten. Ohne Ausnahme und ohne Bedingung. Jedes Kind einer Familie hatte also Anspruch auf sein eigenes Einkommen. Das Geld wurde jeden Monat von den Initiatoren direkt an die Empfänger ausgezahlt. Der Weg in die Stadt zu einem Amt wäre für viele der in bescheidenen Verhältnissen lebenden Bewohner zu teuer gewesen.

Man muss dazu wissen, dass in Brasilien sowohl eine allgemeine Sozialhilfe („bolsa familia“) als auch ein Bedingungsloses Grundeinkommen Gesetz sind. Das letztere mag überraschen, die Vorgabe wurde aber bisher nicht annähernd in die Tat umgesetzt. Eine Klausel im Gesetz (Grundeinkommen erst, wenn die finanziellen Bedingungen dafür gegeben sind) schiebt die Umsetzung auf die lange Bank – eine sehr lange Bank, wenn man die klammen Haushalte des Landes betrachtet. Auch die bolsa familia wird von Bedürftigen bisher keineswegs flächendeckend in Anspruch genommen: Der Grund ist, wie schon gesagt, mangelnde Mittel, um Transportkosten zum nächsten Amt zu bestreiten.


Nicht jeder will beschenkt werden

Bruna und Marcus gingen in der Ortschaft Quatinga Velho buchstäblich von Tür zu Tür und erklärten den Menschen, dass sie von nun an ein Bedingungsloses Grundeinkommen beziehen würden. In einem kleinen Film konnten die Besucher der Münchener Veranstaltung die beiden bei ihrer Arbeit beobachten. Zuvor hatten sie bei privaten Spendern genügend Geld für die Anfangszeit des Projekts gesammelt. Entgegen den Vermutungen gab es nicht sofort einen «Run» auf das leicht verdiente Geld. Im Gegenteil hatten die beiden Aktivisten mit viel Misstrauen zu kämpfen. Man vermutete, hinter der ganzen Sache müsse ein «Haken» stecken, verdächtigte Bruna und Marcus etwa, für eine Partei auf Wählerfang zu sein. Es musste also Überzeugungsarbeit geleistet und Vertrauen aufgebaut werden – wohl gemerkt: für das Vorhaben, Menschen ohne Gegenleistung Geld zu schenken. Nur 27 Bürger nahmen an dem Experiment von Anfang an teil. Über 60 sind es heute. Vertrauen konnte wachsen, manche sind jedoch noch immer zu stolz, um das Geschenk anzunehmen («Ich brauche das nicht»).

Die Annahme, dass es zu einem «Schmarotzer-Ansturm» auf das Geld kommen würde, konnte durch das Experiment ebenso wirkungsvoll widerlegt werden wie ein anderer, typischerweise gegen das Grundeinkommen ins Feld geführten Einwand: «Wenn man Geld geschenkt bekommt, arbeitet man nicht mehr. Höchstens gibt man es für Alkohol aus.» Tatsächlich sind die 12 Euro natürlich nicht genug, um ein Dasein als Frührentner auch nur in Erwägung zu ziehen. Es ist allerdings im ländlichen Bereich durchaus eine ansehnliche Summe. Den Erfolg ihres Projekts führen Bruna und Marcus vor allem auch darauf zurück, dass jemand, der den Menschen Positives zutraut, auch meistens Positives erntet. «Vertrauen schafft Vertrauen.»


Ein Dorf blüht auf

Die Bewohner von Quatinga Velho investierten ihr Geld zum grossen Teil für den Bau menschenwürdiger Wohnungen (in Eigenarbeit), in Essen und Transport. Letzteres bedeutet auch: Es war vielen Menschen erstmals überhaupt möglich, die Preise für Busfahrten zu bezahlen und somit z.B. zu Bewerbungsgesprächen zu fahren. Nicht zuletzt wurden auch viele (wie man bei uns sagen würde) «Ich-AGs» gegründet. Ein Mann gründete eine Hühnerfarm und verkauft seither erfolgreich Eier in der Nachbarschaft. Zuvor waren für ihn nicht einmal die minimalen Investitionen erschwinglich, die dafür notwendig sind. Die Schlussfolgerung der Initiatoren: Menschen benötigen keine Bevormundung durch den Staat. Wenn sie die nötigen Mittel in die Hände bekommen, wissen sie selbst am besten, was zu tun ist. Das Bedingungslose Grundeinkommen hatte in der brasilianischen Ortschaft also eindeutig aktivierende (nicht lähmende) Funktion.

Mündige Bürger, die frei von drastischen Existenzsorgen und staatlicher Gängelung ihr Leben in die Hand nehmen – warum haben Politiker (auch hiesige) solche Angst davor? Deutschland geht derzeit den umgekehrten Weg: De facto sinkende Leistungen bei gleichzeitig wachsender Demütigung der Bedürftigen. Es fehlt das Verständnis dafür, dass Armut, gefühlte Chancenlosigkeit und Marginalisierung auf den Menschen den Effekt einer wachsenden Lähmung und Lethargie haben können. Dieses Problem ist nicht durch forsche Motivationsparolen sozial gefühlloser Polit-Yuppies zu lösen, sondern durch praktische Hilfe, die den Menschen mehr Selbstwert und Vertrauen schenkt.


Projekt von strategischer Bedeutung

Aus dem Brasilien-Experiment sind verschiedene Schlussfolgerungen mit strategisch weit reichender Bedeutung zu ziehen:

1. Grundeinkommensprojekte müssen nicht auf die vollständige Erleuchtung der Parlamentsmehrheit warten. Sie können aus eigener Initiative im kleinen Rahmen beginnen. Voraussetzung ist ein fundraising, also die erfolgreiche Suche nach Geldgebern. Dabei ist aber nicht an reiche Grossspender, sondern eher an das Zusammenwirken vieler kleiner Unterstützer zu denken. Gelungene Projekte wie die in Namibia und in Brasilien schaffen Präzedenzfälle und bieten sich zur Nachahmung an. Vergleichbar etwas der Bedeutung des Experiments von Wörgl für die Regionalgeldbewegung.

2. In der Anfangsphase der Bewegung für ein Grundeinkommen ist es von Vorteil, wenn kein «Leistungsträger» dazu gezwungen wird, sein Geld für die bedingungslose Alimentierung anderer Menschen zu geben. Ist die gesamtgesellschaftlich heilsame Wirkung des Grundeinkommens erst durch eine Reihe von Experimenten erwiesen, würde eine Finanzierung über Steuermittel eher akzeptiert.

3. In Quatinga Velho haben einzelne Bürger, die durch das Grundeinkommen sozial aufgestiegen sind, ihrerseits Geld in den Fond eingezahlt und dadurch mit dafür gesorgt, dass das Projekt weiter laufen kann. Ist bei einer ausreichenden Anzahl von Empfängern ein solches Verantwortungsbewusstsein vorhanden, könnte dies die Finanzierung und Ausweitung solche Projekte erheblich erleichtern. «Mir ist geholfen worden, als es mir schlecht ging. Jetzt geht es mir besser, also helfe ich anderen.»

4. Es gibt eine Menge von Argumenten gegen das Bedingungslose Grundeinkommen. Viele von ihnen klingen – jedenfalls in der Theorie – wohldurchdacht und einleuchtend. Vor allem schaffen es Gegner immer wieder, die «Mittelschicht» gegen die «Unterschicht» aufzuhetzen: das Grundeinkommen sei eine Form der Enteignung der anständig Arbeitenden usw. All diesen Argumenten wäre mit Blick auf die Experimente von Namibia und Brasilien zu entgegnen: «Theoretisch ist da was dran, aber schau dir die Praxis an: Menschen geht es besser. Sie haben etwas aus ihrem Leben gemacht. Sie haben Geld für Bewerbungen und Fahrten zum Arbeitsplatz. Sie haben Geld, um es auszugeben und damit auch wieder anderen Menschen ein Einkommen zu ermöglichen usw.» Es wird ja zu wenig beachtet, dass man normalerweise nicht nur Arbeit braucht, um Geld zu erhalten, sondern auch Geld, um zu arbeiten. Das Geld nämlich, das nötig ist, um die Grundlagen für einen gesunden Körper, eine gesunde Seele und bestimmte Ausgaben zu schaffen, die mit einer Erwerbsarbeit zusammenhängen.

5. Für Menschen mit politischem und humanitärem Bewusstsein sind Grundeinkommens-Projekte attraktive Spendenziele. Und zwar, weil sie sowohl aus der Perspektive des unmittelbaren Mitgefühls als auch unter strategischen Gesichtpunkten sinnvoll sind. Mitgefühl-Aspekt: Wer spendet, gibt nicht allein für eine «politische Kampforganisation», die auf dem langen Marsch in die Herzen und Gehirne neoliberaler Politiker möglicherweise nicht durchhält. Das Geld fliesst direkt zu bedürftigen Menschen. Strategischer Aspekt: Das Bedingungslose Grundeinkommen ist ein wichtiger Schritt, damit die entwürdigende Behandlung von Leistungsbeziehern der Vergangenheit angehört und damit das derzeitige Machtungleichgewicht zugunsten der Konzerne ausgeglichen wird. Spendengelder wären also nicht nur «Tropfen auf den heissen Stein»des Welthungers, sondern würden ein für die Zukunft der Menschheit wichtiges sozialpolitisches Projekt voranbringen.

Die Kölner Initiative Grundeinkommen bietet BGE-Patenschaften für interessierte Spender an, die das Projekt mit regelmäßigen Spendenbeiträgen fördern möchten (vergleichbar etwa mit »Kinder-Patenschaften« in Ländern des Südens). Die grundlegende Erkenntnis dahinter ist: Ein gelungenes Experiment – egal wo auf der Welt – hilft auch der deutschen Bewegung für ein Grundeinkommen, langfristig sogar der ganzen «Menschheitsfamilie».

Quelle: Zeitpunkt.ch, 11. März 2010

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