Kölner Initiative Grundeinkommen

Leben in Hartz-IV ist keineswegs durch "anstrengungslosen Wohlstand" gezeichnet

Die meisten ALG-II-Empfänger bemühen sich aktiv um Arbeit, so eine Studie der Arbeitsagentur, Sanktionen hätten kaum "aktivierende" Wirkung

Hartz-IV-Empfängern wurde von Außenminister Westerwelle ein Leben im „anstrengungslosen Wohlstand vorgeworfen, was der Liberale mit spätrömischer Dekadenz gleichsetzte, ohne die Augen in die oberen Schichten zu lenken, so selbiges weitaus eher zutrifft (Westerwelles kleine Welt). Nun hat das Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) in einer Studie deutlich gemacht, dass Westerwelle eine Scheindebatte – wenn auch gekonnt provokant – losgetreten hat. Das Problem sind nicht die arbeitsunwilligen Hartz-IV-Empfänger, sondern vor allem die fehlenden existenzsichernden Jobs.

Die Studie untersucht die Situation aus der subjektiven Perspektive derjenigen, die mit dem Prinzip „Fördern und Fordern“ ihre Erfahrung gemacht haben, also genau mit der „Aktivierung“, die nun die FDP in den Mittelpunkt stellt, die aber bereits seit 2005, inklusive Sanktionen, praktiziert wird. Damit sollen die Empfänger der Sozialleistungen die Hilfebedürftigkeit überwinden und in eine "existenzsichernde Erwerbsarbeit" eintreten.

Grundlage der Studie sind eingehende Interviews mit einem Sample von 100 Personen, von denen 90 ALG-II bezogen, die übrigen standen an der Grenze zur Hilfebedürftigkeit. Sie wurden erstmals im ersten Halbjahr 2007 und das zweite Mal zwischen November 2007 und Juni 2008 befragt (2009 wurde mit einer dritten Befragungswelle begonnen, die letzte wird ab 2011 folgen). Die Auswahl des Samples erfolgte nicht nach repräsentativen Gesichtspunkten, man wollte vielmehr ein möglichst breites Spektrum der Fälle untersuchen.

Zwar gebe es einige wenige Fälle, „in denen es zu gelingen scheint, sich in einer subjektiv befriedigenden Weise mit dem Budget des Arbeitslosengeld II einzurichten. Hier spielen arbeitsmarktferne biographische Orientierungen ebenso eine Rolle, wie die Fähigkeit, durch Reduktion von Bedürfnissen und geschicktes Alltags- und Finanzmanagement die negative Anreizfunktion im Effekt zu ,unterlaufen'.“ Da spiele auch Resignation herein. Es überwiege jedoch der Anteil derjenigen bei weitem, die aktiv nach Jobs suchen und auch gering bezahlte Beschäftigung annehmen.

Die vielfältigen, auch eigeninitiativ ergriffenen Aktivitäten der Hilfebezieher widersprechen dem in Teilen der Öffentlichkeit präsenten Bild des passivierten Transferleistungsempfängers, der es für erstrebenswert empfindet, ein Leben im Hilfebezug zu führen. Vielmehr zeigt sich, dass das Erreichen erwerbsbiographischer Stabilität ein Hauptziel der biographischen Orientierungen darstellt. Dort wo nicht bereits eine resignative oder fatalistische Grundgestimmtheit Platz gegriffen hat, liefen jedoch die auf nicht-prekäre Erwerbsintegration gerichteten Aktivitäten häufig (noch) ins Leere, wenngleich durch prekäre Formen der Beschäftigung durchaus kurzfristige Verbesserungen erzielt werden konnten oder gar durch Übergänge in sozialversicherungspflichtige Beschäftigungen sich mehr oder weniger gesicherte Zukunftsaussichten eröffneten.
Aus dem Fazit der Studie

Die Drohung mit Sanktionen scheint nach den Autoren der Studie dafür keine nennenswerte oder klare Rolle zu spielen, sondern es sei eine

hohe Bereitschaft zur Aufnahme zusätzlicher Beschäftigung (zu erkennen), sei es in Form von Minijobs aber auch einer häufig anzutreffenden Nutzung von Arbeitsgelegenheiten als willkommene Quelle zur Erhöhung des Haushaltseinkommens. Jedoch ist in diesen Fällen und mehr noch bei den Bemühungen um die Aufnahme regulärer sozialversicherungspflichtiger Beschäftigung nicht deutlich zu erkennen, in welchem Maße die Bereitschaft zu Erwerbsarbeit tatsächlich überwiegend auf die negativen monetären Anreizstrukturen des SGB II zurückzuführen ist. Erkennbar ist vielmehr ein Amalgam aus sich überlagernden Motivationen, bei denen nicht zuletzt auch den sozialen Anerkennungs- und Integrationswirkungen von Beschäftigung starke Bedeutung zukommt.

Vom Leben in „anstrengungslosem Wohlstand“ kann man hier wohl nicht sprechen. Die Menschen hätten sich nicht eingerichtet, es herrsche ein hohes Maß an Flexibilität und Mobilität. Das „Leben mit Hartz IV“ sei häufig mit Sorgen verbunden, es müsse Verzicht geleistet und Einschränkungen erduldet werden, schon ab Monatsmitte könne es auch zu „Versorgungskrisen“ kommen. Problemlagen würden sich mit steigender Bezugsdauer verstärken, weil die Reserven schwinden, die Versuche, mit dem permanenten Mangel zurechtzukommen würden zu psychosozialen Problemen führen. Zudem kommen unterschiedliche Persönlichkeitstypen natürlich auch ganz verschieden mit ihrer Situation zurecht.

Eine Rolle beim Umgang mit dem Mangel spielen neben der Möglichkeit von Zuverdienst die Existenz von sozialen Netzwerken und der Wohnort. Bei vielen scheint durch das Leben in einer prekären Situation, die eigentlich durch hohen Wechsel gekennzeichnet sei, ein negativer Klebeeffekt einzutreten:

Die Kerngruppe der Prekarisierten in unserem Sample bilden ca. 30- bis 40-jährige, zumeist männliche Befragte mit geringer beruflicher Qualifikation. Sie finden immer wieder Beschäftigung in den sog. Pufferarbeitsmärkten, etwa als Leiharbeiter in der Industrie sowie als unstetig Beschäftigte in Einzelhandel, Gastronomie, Sicherheits-, Reinigungs- oder Baugewerbe. Ihr Leben spielt sich zwischen geringfügiger Beschäftigung, Leiharbeit, befristeten Vollzeitstellen und Arbeitslosigkeit ab, ohne dass sich daraus während unseres Beobachtungszeitraums in nennenswertem Umfang Einstiegsoptionen in stabile Beschäftigung ergeben hätten oder der Sprung über die Schwelle, die zwischen prekärer Beschäftigung und sicheren Normalarbeitsverhältnissen liegt, erfolgt wäre. Auffällig ist auch, dass hier gerade wegen der vorherrschenden Orientierung an 'richtiger' Beschäftigung auf dem ersten Arbeitsmarkt Maßnahmen der SGB-II-Träger wie etwa Arbeitsgelegenheiten eher auf Ablehnung stoßen.

Die Autoren gehen davon aus, dass sich mit Sanktionen nicht viel erreichen lässt, sondern dass die Angebote zur „Motivierung" individueller gestaltet, also stärker auf die jeweilige Person zugeschnitten sein müsste. Eine pauschalisierte Minimalversorgung könne überdies dazu führen, dass Energie und Motivation der Hilfsbedürftigen fast ausschließlich für die Bewältigung des kargen Alltags verwendet würden und damit die „Aktivierung" ausgeschaltet werde.

Quelle: Telepolis, 04.03.2010

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