Kölner Initiative Grundeinkommen

Neuerscheinung: „1.000 Euro für Jeden!“ von Adrienne Göhler und Götz Werner

Adrienne Göhler und Götz Werner:
Freiheit - Gleichheit - Grundeinkommen
Über ein neues Buch zum Grundeinkommen

von Michael Mentzel

Dieser Beitrag erschien zuerst am 13. August 2010 auf dem Internetportal Themen-der-Zeit. Mit freundlicher Genehmigung der Redaktion.


Noch ein Buch über das Grundeinkommen? Adrienne Göhler und Götz Werner haben sich "getraut", nach allem, was schon über das Grundeinkommen gedacht, gesagt und geschrieben ist, diesem Thema einen noch breiteren Diskussionsraum zu eröffnen, als wir ihn bisher von Vertretern dieser Idee erleben konnten. Die Autoren sind Zeitgenossinnen und -genossen, deren Biographien dem Gesagten die Tiefe und die Glaubwürdigkeit verleihen können, um dieser Idee die - notwendige und vor allem solide - Grundlage zu verschaffen. Erfolgreicher Unternehmer der eine; ehemalige Hochschulpräsidentin, ausgewiesene Fachfrau für kulturelle Fragen, Wissenschaft und Forschung die andere.

Freiheit, Gleichheit, Grundeinkommen. Welche Veränderungen ergäben sich in den verschiedenen Bereichen unserer Gesellschaft von der Bildung über die Gesundheit bis zur Ökonomie? Aus unterschiedlichen Ansätzen und Erfahrungsfeldern beschriebene Fragestellungen fließen zusammen in die eine Frage: "was wäre, wenn die Existenz eines jeden Bürgers garantiert und bedingungslos durch ein existenzsicherndes Grundeinkommen gesichert wäre?" Durchaus selbstbewusst gehen die beiden Autoren davon aus, "das die humanistischen Ideale der Aufklärung, die sich in der französischen Revolution erstmals manifestierten und bis heute die Grundlage unseres europäischen Selbstverständnisses bilden, erst durch das bedingungslose Grundeinkommen eingelöst würden."

Die Idee eines Grundeinkommens beschäftigt fortschrittliche Geister schon lange. Bereits seit dem 16. Jahrhundert wurde in England, Belgien und Frankreich von Sozialreformern immer wieder einmal die Idee eines "Grundeinkommens" bewegt, in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts befürwortete der britische Ökonom John Stuart Mill "ein bedingungsloses Grundeinkommen, das für ihn die logische Konsquenz des menschlichen Freiheitsstrebens darstellte." In Deutschland, so die Autoren, begann die öffentliche Diskussion in den 1980 Jahren, zwar hätten die Grünen seinerzeit (1979) das bedingungslose Grundeinkommen in ihr Gründungsprogramm geschrieben, es "danach aber zum Verschwinden gebracht, die katholische Sozialethik postulierte es schon lange und stellt immer wieder die Finanzierbarkeit fest." Wirkungen auf Institutionen oder Parteien seien davon allerdings nicht ausgegangen. Man glaubt es gern, zumal, wenn man hört, was - via Talkshows und ähnlichen Veranstaltungen - mit ganz wenigen Ausnahmen in den jeweiligen Parteizentralen über das Grundeinkommen gedacht wird.

Die Diskussionen über das Grundeinkommen aber seien "seit kurzer Zeit" "quer durch die Gesellschaft" verstärkt zu vernehmen und jetzt seien es "StudentInnen und Wohlhabende, Beamte und vom Hartz IV-Dasein gezeichnete, gutausgebildete AkademikerInnen mit und ohne Erwerbsarbeit und Menschen aus sozialen und kirchlichen Bewegungen", die der Diskussion über ein bedingungsloses Grundeinkommen "erfrischende Debatten" bescheren.

Konstatiert wird eine "wachsende Begeisterung (..) quer durch Europa und rund um den Globus". Die Politk aber spräche "über all das nicht, was zu einem wachsenden Vertrauensverlust in die Fähigkeiten der Regierungen führt." In den Fraktionen werde zwar hin und wieder "lauwarm" über das Grundeinkommen diskutiert, manchmal werde es sogar auf die Tagesordungen von Parteitagen gesetzt, allerdings, so die Autoren, an "sehr unprominenter Stelle."

Von der historischen Entwicklung der Idee des Grundeinkommens bis zur aktuellen Planung des Pilotprojektes der Breuninger-Stiftung ermöglicht das Buch mit seinen 13 Kapiteln und über 250 Seiten einen umfassenden Überblick über alle Aspekte unserer heutigen Gesellschaft und wie diese durch ein Grundeinkommen tatsächlich verändert und zu einer neuen Ausgestaltung kommen könnten. Es ist eine Reise durch vertraute Welten, die dem Leser in diesem Buch angeboten wird und wer an dieser Reise teilnehmen möchte, wird unschwer feststellen, dass die Frage nach der Menschenwürde des Einzelnen bisher noch nicht den gebührenden Platz in unserer Gesellschaft eingenommen hat. Was in Reden oder in den Diskussionen über das Grundeinkommen zumeist nur angerissen werden kann, in diesem Buch wird es akribisch, - dabei immer verständlich - aus verschiedenen Perspektiven beleuchtet und hinterfragt.

Es werden Bedenken und Einwände gegen das Grundeinkommen dargestellt und einmal mehr wird der Mythos Vollbeschäftigung und die Interessenlagen von Politik und Wirtschaft, aber auch der Gewerkschaften einer genauen Betrachtung unterzogen: "Ohne die Fiktion 'Wir kümmern uns für euch darum, das Ziel Vollbeschäftigung zu erreichen', drohen sie in der Bedeutungslosigkeit zu verschwinden." Bei der Wirtschaft sei es eine "nüchterne Kalkulation: Wenn mehr Menschen arbeiten wollen und müssen, als es Arbeitsplätze gibt, kann sie aus dieser 'industriellen Reservearmee' die besten, aber auch die gefügigsten Kräfte zu günstigen Preisen einkaufen. Unternehmen haben also kein Interesse an realer Vollbeschäftigung, aber am Fortbestehen ihres Mythos."

Für die Betroffenen aber hat die "Illusion der Vollbeschäftigung" oft auch gesundheitliche Folgen. Die Autoren berichten von Studien und Forschungen, die sich mit den Auswirkungen von Arbeitslosigkeit auf die Gesundheit beschäftigt hätten: "Ein Wechsel von Erwerbsstatus und Arbeitslosigkeit führt häufig zu einer Verschlechterung der psychischen Gesundheit; umgekehrt verbessert sich die seelische Befindlichkeit deutlich, wenn Arbeitslose zurück ins Erwerbsleben finden."

Ein weiteres Kapitel beschäftigt sich mit dem Thema Bildung und Hochschule und darin den Auswirkungen des Pisa-Schocks im Jahre 2000; die beiden Autoren kommen zu dem Schluss, dass sich durch ein Grundeinkommen "die Chance auf schulische Vielfalt deutliche erhöhen (würde)". Deutschland hätte zwei Probleme, es würden zuwenige Kinder geboren und "erschreckend viele" dieser wenigen, fielen in Armut: "Kindern von Hartz IV-Empfägern stehen täglich drei Euro zur Verfügung - für alles. Das schwarz-gelbe Sparpaket der Bunderegierung sendet das Signal aus, lieber keine Kinder zu bekommen, es sei denn, man habe einen festen Job."

Eingehende Betrachtungen werden für den Bereich Forschung und Lehre angestellt, es wird der Bologna-Prozess und die Auswirkungen auf die Studierenden betrachtet. Diese litten durch das Modulsystem unter Überforderung und Stress - und müssten obendrein für dieses industrialisierte Bildungsangebot auch noch Studiengebühren bezahlen. Die Hochschulen seien "seit der Einführung von Bologna ausschließlich mit sich selbst beschäftigt. Es grenzt an Selbstnarkotisierung. Sie evaluieren sich zu Tode."

Was ein Grundeinkommen für Alle auch an dieser Stelle bedeuten würde, müssen wir im Rahmen dieser Besprechung sicher nicht näher erläutern.

Das 10. Kapitel, "Sozialstaat im Wandel- Gesellschaft im Fluss", liefert einen Exkurs über die Entwicklung des "Generationenvertrags", die Bismarck´schen Sozialgesetze in Deutschland gegen Ende des 19.Jahrhunderts, die sich im Laufe der Jahrzehnte zum Modell auch für andere Länder entwickelte. Interessant dabei: "Es ist in den Geschichtsbüchern nicht vermerkt, dass Menschen wegen dieser Sozialgesetzgebung plötzlich aus allen Ländern nach Deutschland geströmt wären, nur um in deren Genuss zu kommen. (...) Daran erinnern wir (..)gelegentlich, wenn die Frage auftaucht, ob denn 'alle zu uns kommen' würden, wenn es das Grundeinkommen gebe?"
Durch die Einführung des Grundeinkommens, so Göhler und Werner, würde "kein einziges Politikfeld ersetzt: keine Flüchtlings-, keine Friedens-, keine Klimapolitik. Aber seine Einführung würde Politikfelder inhaltlich anders konturieren und strukturieren."

Mit einem Grundeinkommen, so die Einschätzung der Autoren, käme man aus dem "demographischen Dilemma" heraus, denn "wir leben in einem Zwischenraum: Wir werden nicht mehr genügend vom Vater Staat versorgt und können noch nicht andere - eigene - Wege beschreiten. Uns fehlen noch die Voraussetzungen, uns zwischen Fürsorge und Selbstorganistion bewegen zu können."
Es sei "leicht vorstellbar", wie sich durch ein Grundeinkommen "die zäh verhandelten Fragen zu Kindergartenplätzen, Bildung und Ausbildung ändern würden. (...) Es könnte endlich darum gehen, den Freiheitsraum von Kindern und Müttern und Vätern gleichermaßen zu stärken."

Im Folgenden werden dann noch die Fragen der Rentenproblematik, des Rollenverständnisses zwischen Frauen und Männern, die "Institution Ehe in der Single-Gesellschaft" sowie die "Familie" im Zeichen des Grundeinkommens behandelt. Es wird Bezug genommen auf ein Buch zu Grundsicherungmodellen des Autors Joachim Mischke, der diagnostiziert, es gebe eine "gigantische Sozialbürokratie, die mit 38 unterschiedlichen Arten von Behörden und Quasibehörden 155 steuer- und beitragsfinanzierte Sozialleistungen verwaltet". Dies wird von Adrienne Göhler - wie ich finde - sehr treffend bezeichnet, nämlich mit "tote Arbeit, die auf der Seele der Republik lastet". Diese "tote Arbeit" aber würde verhindern, "dass wir andere Wege beschreiten können, weil sie die Energien im Falschen bindet."

Es mag sein, dass viele der Hintergrundinformationen auch an anderen Stellen verfügbar und bereits Gegenstand von Publikationen sind. So wurde zum Beispiel in den unterschiedlichsten Medien bereits über die Entwicklung der Grundeinkommensidee in Namibia oder Brasilien berichtet. Dieses Buch widmet dem Thema ein eigenes Kapitel (11) unter dem Titel "Es funktioniert - Grundeinkommen in Namibia und andernorts", beschreibt Intiativen vor Ort und nennt Organisationen und Namen. Entwicklungsland Afrika? "Während Deutschland einst Idee und Handlungsansätze seines Sozialstaatsmodells exportiert hat, bedarf es heute (...) eher des Imports von Ideen und Modellen nach Deutschland." Wir erfahren im folgenden etwas über die Vorläufer eines Grundeinkommens in Bangladesh und Sambia, es wird berichtet über das Grundeinkommen in Brasilien und Namibia und es wird erläutert, was es mit der "BIG-Koalition" auf sich hat. BIG steht für das Pilotprojekt "Basic Income Grant". Adrienne Göhler war im Februar 2010 mit einem Fotografen vor Ort in Namibia und schildert reportageartig ihre persönlichen Erfahrungen, die sie in vielen Gesprächen und Begegnungen sammeln konnte. Es ist übrigens das einzige bebilderte Kapitel in diesem Buch.

Für viele LeserInnen wird das 12. Kapitel wohl eines der wichtigsten sein, weil es die Frage nach der Finanzierung behandelt. An dieser Stelle heißt es: "Hier trennen sich kurzzeitig die Wege der beiden Autoren. Während Götz Werner das Konsumsteuermodell für die Möglichkeit hält, nicht nur das Grundeinkommen zu finanzieren, sondern mehr Gerechtigkeit zu schaffen, kann und will sich Adrienne Göhler auf diese Finanzierungsart nicht festlegen." Sie fordert ein "vorgelagertes Modellprojekt" und dessen interdisziplinäre wissenschaftliche Begleitung. Es käme vor allem aber darauf an, "die sozialen, ökonomischen und psychischen Herausforderungen, die ein Grundeinkommen bedeutet, in einem offenen Prozess zu verstehen und nachvollziehbar zu machen." Und es sei auf die Einhaltung der vier Kriterien für ein bedingungsloses Grundeinkommens zu achten. Danach soll ein Grundeinkommen "die Existenz sichern und gesellschaftliche Teilhabe ermöglichen", einen "individuellen Rechtsanspruch darstellen", d. h. es müsse an jeden ausgezahlt werden, es müsse "ohne Bedürftigkeitsprüfung ausgezahlt werden" und es dürfe "keinen Zwang zur Arbeit bedeuten".

Im folgenden werden dann "Vier Wege zum Grundeinkommen" betrachtet: Zum einen "das Modellprojekt", wie es auch im Pilotprojekt der Breuninger-Stiftung zu finden ist, dann die "Methode der kleinen Schritte", was eine schrittweise Einführung bedeute, die zu Beginn nicht existenzsichernd sein müsste. Des weiteren die "Wellenmethode" in Anknüpfung an das heutige Transfermodell und Ausstattung einzelner Bevölkerungsgruppen mit dem Grundeinkommen, z. B. Kinder und alte Menschen, sowie "eine konsequente Negative Einkommensteuer", wie sie der Ökonom Milton Friedman 1962 für die USA vorgeschlagen hatte.

Die von Götz Werner präferierte Konsumsteuerlösung nimmt einen weiteren Bereich dieses Kapitels ein, nach Götz Werner "gehören Grundeinkommen und Konsumsteuer unbedingt zusammen: Mit dem Grundeinkommen lassen wir die Menschen in Ruhe arbeiten, frei von Existenzangst. Mit der Konsumbesteuerung lassen wir das Kapital in Ruhe arbeiten, frei von Zugriffen, bevor die Wertschöpfung in konsumfähigen Leistungen für die Gesellschaft zu einem Abschluss gekommen ist." Die Konsumsteuer, so Götz Werner, schaffe "Transparenz" und "Gerechtigkeit", hätte "Initialwirkung" und würde vom "Ballast der Finanzierungsfrage" befreien.

1.000 Euro für jeden! Das Buch liefert keine schnellen Antworten, aber es lädt zum Mitdenken ein und es ist davon auszugehen, dass sich durch das umfangreiche Hintergrundmaterial bei den LeserInnen, wenn sie sich darauf einlassen, ein ganzes Bild ergeben wird, was bei der Komplexität des Themas auf jeden Fall wünschenswert ist. Die Fülle der Beispiele ist beachtlich, dabei wird nicht theoretisch argumentiert, sondern das Gesagte wird immer wieder anhand konkreter Beispiele erläutert.

Den beiden Autoren Adrienne Göhler und Götz Werner ist es gelungen, die vielen Einzelaspekte des Grundeinkommens und ihren eigenen Erfahrungen, Gedanken und Betrachtungen zu einem Ganzen zusammen zu fügen, und den interessierten LeserInnen somit eine fundierte Basis für die eigene Beschäftigung mit der Idee des Grundeinkommens zur Verfügung zu stellen. Das Buch legt die Problematik, die Chancen und Möglichkeiten des Grundeinkommens für alle deutlich und verständlich offen und stellt somit nicht nur eine Fundgrube für potentielle Grundeinkommens-Befürworter dar, sondern auch der Skeptiker wird sich nach meiner Auffassung vielen der dargelegten Argumente nicht verschließen können. Diesem Buch ist eine weite Verbreitung sehr zu wünschen.


Prof. Götz W. Werner, Adrienne Goehler
1.000 Euro für jeden
Freiheit. Gleichheit. Grundeinkommen
Econ-Verlag (Bestellung)
272 Seiten, € 18,00
Infoblatt


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