Kölner Initiative Grundeinkommen

Bis heute hängt das Einkommen von der Arbeit ab. Doch was ist Arbeit? Der Begriff der Arbeit hat sich im 21. Jahrhundert grundlegend gewandelt. Durch ein bedingungsloses Grundeinkommen für alle könnte man diesen Wandel der Arbeitswelt unterstützen und viele Formen freiwilliger, aber unbezahlter Arbeit aufwerten. Doch der Sozialminister Rudolf Hundstorfer sieht keinen Handlungsbedarf.

Schon 1985 haben Lieselotte Wohlgenannt und Herwig Büchele das Buch „Grundeinkommen ohne Arbeit“ veröffentlicht. Das aufkommende Computerzeitalter und die fortschreitende Automatisierung der Industrie gaben damals Anlass zu Befürchtungen, dass sich eine Zwei-Drittel-Gesellschaft formieren werde. Demnach werde die Arbeit immer weniger und ein Drittel der Menschen werde früher oder später ohne Arbeit bleiben. Ein Grundeinkommen ohne Arbeit sollte deshalb absehbare soziale Unruhen verhindern.

Heute, 25 Jahre später, können wir feststellen, dass sich dieses Szenario nicht erfüllt hat. Die Jobs in der Produktion wurden zwar weg rationalisiert oder in Billiglohnländer exportiert, aber das Informationszeitalter hat neue Jobs geschaffen und die Dienstleistungsgesellschaft ist längst Realität. Doch gerade im Dienstleistungssektor ist die Einkommensschere exorbitant gestiegen. Von der unbezahlten Sozialarbeit bis hin zu überbezahlten Beratungs- und Vermittlungsjobs, wobei Berater oder Lobbyisten für (angebliche) Leistungen oft ganz ungeniert Millionenbeträge in Rechnung stellen. Während die Kassierinnen im Supermarkt unter schlechtesten Konditionen schuften, kassieren Bankmanger in ihrem weich gepolsterten Chefsessel Bonuszahlungen zusätzlich zu ihren satten Grundgehältern. Das sogenannte Leistungsprinzip, wie es in einer Produktionswelt noch einigermaßen messbar war, ist auf die Dienstleistungswelt längst nicht mehr anwendbar.

Gagen und Honorare in Millionenhöhe sind mit Leistung nicht begründbar. Nicht begründbar, und auch nicht länger tragbar ist auch die Tatsache, dass viele Menschen Leistungen erbringen, die nie bezahlt werden. Kinderbetreuung, Jugendarbeit, Altenpflege, freiwillige Feuerwehr, Rettung, aber auch im kreativen Bereich überwiegt die unbezahlte Arbeit. Von 100 Künstlern kann vielleicht einer von seiner Arbeit leben, alle anderen müssen sich Nebenjobs suchen oder vegetieren am Existenzminimum. Der Sozialbericht hält fest, dass 44% der österreichischen Bevölkerung ab 15 Jahren in irgend einer Form Freiwilligenarbeit leisten. Wenn man den Begriff Arbeit noch weiter fasst kann man sagen: jeder arbeitet, auch wer keinen Job hat, denn keiner will untätig herumhängen! Das aktive Vereinsleben ist ein Indikator dafür. Die Leistungen der Freiwilligen stehen außer Frage, aber der Staat verhindert, dass aus diesen Leistungen ein Anspruch auf Entgelt erwachsen könnte. Mit dem Grundeinkommen wäre dieser Anspruch abgegolten. Doch der Sozialminister Rudolf Hundstorfer tut sich schwer, diese Leistungen als Arbeit zu qualifizieren.

Arbeit setzt der Sozialminister und ehemalige Gewerkschaftsboss mit Lohnarbeit und einem geregelten Beschäftigungsverhältnis gleich (siehe Interview). Seit Beginn der 1990er Jahre brechen die Grenzen jedoch auf. Heute sind mehr als 90 Prozent von jährlich 30.000 Unternehmensgründungen so genannte EPU, Ein-Personen-Unternehmen, viele davon nur für einen Auftraggeber tätig. Sicher ist das für manche eine Notlösung, und manche werden in billige Umgehungsverträge gezwungen, damit die Auftraggeber Personalkosten sparen. Doch viele EPUs wollen auch gar nicht mehr in ein festes Angestelltenverhältnis. Die Gewerkschaft hat bis heute auf diesen Wandel nicht reagiert. Ihr einziges Ziel ist es diejenigen zu schützen, die bereits eine geregelte Arbeit haben. Einen Weg, wie sich EPUs vor Ausbeutung und Selbstausbeutung schützen können, hat die Gewerkschaft bis jetzt noch nicht gefunden, ja noch nicht einmal gesucht. Die Gewerkschaften – und mit ihnen der Sozialminister – kämpfen zwar gegen ungleiche Löhne, aber sie kämpfen nicht dafür, diejenigen Leistungen zu entlohnen, die für die Gesellschaft wesentlich wichtiger sind als beispielsweise die Spielchen gesellschaftspolitisch wertloser, aber hochbezahlter Finanzjongleure.

Wie könnte nun ein Grundeinkommen für alle aussehen? Die Armutsgrenze liegt offiziell bei 10.711 Euro Jahreseinkommen pro Person. Das Grundeinkommen könnte man bei 8.000 Euro etwas darunter ansetzen, 2.900 Euro Zusatzeinkommen bleiben steuerfrei. Das entspricht exakt der aktuellen Freigrenze für Einkommenssteuerpflichtige. Darüber kann man die gestaffelten Steuersätze ansetzen, wie sie derzeit gelten: 38% für Einkommen von 10.900 bis 25.000 Euro, 43% für Beträge von 25-51.000 Euro und 50% für jeden Betrag der darüber liegt. Dieses System kann natürlich verfeinert werden, aber es spricht nichts dagegen, so das Grundeinkommen sofort auf Basis der bestehenden Steuersätze einzuführen. Zur Vereinheitlichung des Systems könnte man gleichzeitig die Betriebe entlasten und die Lohnsteuer abschaffen. Dafür bekommt jeder Staatsbürger eine Steuernummer und jeder müsste seine Steuererklärung selbst abgeben.

Das Grundeinkommen hätte damit nur positive Lenkungseffekte. Jeder Staatsbürger wird grundsätzlich für seine Leistungen entlohnt, egal welche Leistung, egal wo, wie und wann er sie erbringt. Dieses Egalitätsprinzip geht von der grundsätzlichen Leistungsbereitschaft aller Menschen aus und davon, dass Leistung auch von der Gesellschaft definiert wird und nicht allein von der Wirtschaft. Wenn jeder Staatsbürger selbst seine Einnahmen- und Ausgabenrechnung machen muss, wird er sich stärker seiner Verantwortung dem Staat gegenüber bewusst, denn bislang werden die Abgaben von einer anonymen Lohnverrechnung am entmündigten Lohnempfänger vorbei an das Finanzamt überwiesen. So ist jederzeit klar, dass ein Grundeinkommen nicht nur ein Recht ist, sondern dass Mehreinnahmen auch wieder zum Wohl des Staates und damit zum Wohl der Gemeinschaft beitragen müssen. Es ist auch höchst wahrscheinlich, dass die Schwarzarbeit zurückgeht, denn 1. ist jeder Staatsbürger vom Steuersystem erfasst und 2. darf jeder bis 2.900 Euro steuerfrei dazuverdienen. Dass das Steueraufkommen aufgrund massenweiser „Minderleister“ zusammenbrechen würde, ist nicht zu erwarten, denn all jene, die derzeit mehr als das Existenzminimum verdienen, werden auch weiterhin versuchen ihren Standard zu halten und auszubauen. Diejenigen Unternehmen, deren Geschäftsmodell nur mit Mc-Jobs funktioniert, müssen dann freilich nachdenken, was sie ihren Mitarbeitern anbieten können, um attraktiver als das Grundeinkommen zu sein.

Wer das System des bedingungslosen Grundeinkommens auf der Basis aufbaut, dass Arbeit und Leistung im 21. Jahrhundert neu bewertet werden müssen, der braucht nicht zu fürchten, dass es dafür keinen Konsens geben würde. Anders als vor 25 Jahren geht es heute nicht mehr um eine Grundeinkommen „ohne Arbeit“, sondern darum, die vielen Formen heute nicht als Arbeit anerkannter Leistungen neu zu bewerten. In einer Grundlegenden Diskussion muss es um den Wert der Arbeit gehen, nicht nur um den Preis der Arbeit (= Lohnkosten). Leicht möglich, dass es dafür keinen parteipolitischen Konsens gibt, wie Minister Hundstorfer moniert: „Ich glaube nicht, dass das in Österreich jemals mehrheitsfähig werden würde. Was mehrheitsfähig wird ist zu sagen, es gibt einen gesellschaftspolitischen Fußboden und alles, was du zusätzlich brauchst um diesen Fußboden zu erreichen, kriegst du, aber du musst deinen Beitrag leisten.“

Für einen parteipolitischen Konsens braucht es sicher einen Sozialminister mit stärkeren Visionen und auch mit einer anderen Wortwahl, als sie Hundstorfer pflegt. Es geht nicht darum, den Menschen zu ermöglichen am Fußboden zu kriechen, sondern auf welcher Basis menschenwürdiges Zusammenleben möglich ist. Das erfordert auch politische Eingriffe, wo sich in der Wirtschaft haarsträubende Ungerechtigkeiten breit gemacht haben. Für einen gesellschaftspolitischen Konsens wäre es bloß erforderlich, sich von der antiquierten produktionstechnischen und der zynischen finanztechnischen Bewertung von Leistung zu trennen und den gesellschaftlichen Wert einer Leistung als Grundlage für das Einkommen zu definieren.

Quelle: Die Bunte Zeitung, Nr 5 (Oktober) 2009

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