Kölner Initiative Grundeinkommen

Ungleichverteilung der Arbeit – Arbeitsvolumen sinkt trotz Rekordbeschäftigung


Von Harald Schauff*


Grell leuchtete die Sonne der deutschen Konjunktur am Spätherbsthimmel. Der DAX stieg über 9000 Punkte, die Beschäftigung erreichte einen neuen Rekordstand: 42,1 Mill. Erwerbspersonen. Mehr als die Hälfte von Michelland packt fleißig an. Wirtschaftswunderherz, was willst du mehr?

Eins solltest du jedoch besser nicht: Nach der Substanz fragen. Denn derartige Fragen sind für dieses schöne Bild so gefährlich wie Nadelstiche für den Ballon. Allein der Hinweis auf die Millionen in geringfügiger Beschäftigung und Maßnahmen der Arbeitsagenturen rückt der Blase bedrohlich zu Leibe.

Gleichwohl suggeriert die Rekordzahl bei gleichzeitig niedriger Erwerbslosenquote: Es wird viel gearbeitet, mehr als früher. Und der Bedarf nach Arbeitskräften steigt weiter. Deshalb drohe in ein bis zwei Jahrzehnten ein gravierender Fachkräftemangel.

Tatsächlich stellt das Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) fest (nachzulesen in einem Beitrag der Frankfurter Rundschau vom 30. Oktober 2013): 1991 arbeiteten Beschäftigte 52 Mrd. Stunden. Letztes Jahr waren es dagegen nur noch 49 Mrd. Stunden. Das Arbeitsvolumen ist also gesunken. Der Grund liegt auf der Hand: Es gibt mehr Teilzeitstellen und Mini-Jobs. Insgesamt wuchs der Anteil der Teilzeitbeschäftigten im besagten Zeitraum von 1991-2012 von 16 auf 35 % und umfasst jetzt 12,7 Millionen Menschen. Inzwischen hat jede zweite Frau eine Teilzeitstelle. Der Anteil der Männer beträgt 18 %. Viele haben ihre Arbeitszeit freiwillig verkürzt, um mehr Zeit zu haben für Familie, Freunde und Hobbys.

Andere würden gern länger arbeiten, um mehr zu verdienen. So 40 % der Frauen mit Teilzeit und 60 % derer mit Mini-Job. Was der Bericht nicht erzählt: Nur ein geringer Teil dürfte eine Ausdehnung der Arbeitszeit auf 40 Wochenstunden und mehr wirklich wünschen. Zumal Druck, Stress und Überlastung am Arbeitsplatz ständig zunehmen. Die meisten wollen nicht unbedingt länger arbeiten, sondern einfach ein höheres Einkommen bzw. eines, von welchem man leben kann.

Laut IAB sind 13 % geringfügig beschäftigt, die zweitgrößte Gruppe nach den sozialversicherungspflichtig Beschäftigten. Den Wunsch vieler Menschen, mehr zu arbeiten, sehen die Forscher als »Chance«. Die Leute würden wegen des drohenden Fachkräftemangels gebraucht.

Hört sich so an, als wolle man die Wirtschaftspropaganda doch noch ein bisschen bedienen, nachdem man sie durch ernüchternde Zahlen Lügen gestraft hat. Das Beschäftigungsvolumen wird auch in Zukunft abnehmen. Weitere Rationalisierungsschübe in Folge von Automation sind nur eine Frage der Zeit.

Interessant ist noch, wen das Statistische Bundesamt als erwerbstätig zählt: Jeden Bürger, der mind. 1 Stunde pro Woche arbeitet. Man richtet sich nach der Definition der Internationalen Arbeitsorganisation ILO. So tragen zum aktuellen Rekordwert nicht nur Teilzeit- und Minijobber bei sondern auch Schüler und Rentner, welche u.a. Zeitungen austragen und im Supermarkt helfen.

Diese Zählweise ist nicht ganz neu. Sie verhalf den USA in den 90ern annähernd zu einer Vollbeschäftigungsquote. Die Aufspaltung vieler Vollzeitarbeitsplätze in Mini-Jobs zahlte sich da schon statistisch aus. Nun sorgen auch hierzulande zahlreiche kleine Jobs für das große Wunder der Erwerbstätigkeit.

Harald Schauff ist verantwortlicher Redakteur der Kölner Arbeits-Obdachlosen Selbsthilfe-Mitmachzeitung »Querkopf«, die für 1,50 Euro auf der Straße verkauft wird. Diesen Artikel hat er in der aktuellen Ausgabe des »Querkopf« veröffentlicht.


Seitenaufrufe: 215

Kommentar

Sie müssen Mitglied von Kölner Initiative Grundeinkommen sein, um Kommentare hinzuzufügen!

Mitglied werden Kölner Initiative Grundeinkommen

© 2024   Erstellt von Henrik Wittenberg.   Powered by

Ein Problem melden  |  Nutzungsbedingungen

googlebe0f018827859325.html