Kölner Initiative Grundeinkommen

Von Harald Schauff*

Es ist erstaunlich, wie tief der Erwerbsarbeits-Fetisch immer noch ins linke bzw. kritische Spektrum hinein ragt. Man will sich partout nicht von der Vorstellung trennen, dass der Mensch von Natur aus bequem und egoistisch ist und zum Tätigsein in einer Gemeinschaft erst nachdrücklich gezwungen werden müsse.

Wenn keiner den Daumen draufhält, wird nichts angepackt. Wenn keine Peitsche knallt, stehen alle Räder und Ruder still. Wenn nicht an der Fußkette gezogen wird, läuft nichts und niemand. Der Druck braucht dabei nicht immer von außen zu kommen, von jemanden, der das Kommando gibt. Er kann der Beschäftigung auch als Kollektivzwang »innewohnen«: Wer nicht mitmacht, gehört nicht dazu. Nur Druck und Zwang garantieren, dass die Arbeit etwas taugt. Wehe, sie erinnert an selbst bestimmte Tätigkeit oder noch schlimmer: Müßiggang.

Ohne aufgenötigtes, fremd bestimmtes Tun wird der Mensch nicht zum Menschen, sprich sozialen Wesen. So glaubt es der verinnerlichte protestantische Arbeitsethos, welcher sich seit dem späten Mittelalter fest in den Köpfen verankert hat. Laut pocht jener auf die Notwendigkeit des Arbeitszwanges für die Menschwerdung. Andererseits schweigt er sich um so beharrlicher über die Unmenschwerdung aus, welche die aufgenötigte Beschäftigung ebenfalls zur Folge hat. Hierfür steht an aller erster Stelle seit Jahrtausenden das Kriegshandwerk Zeuge, mit Ozeanen vergossenen Blutes. Doch auch die Arbeit selbst zeigte sich bis heute all zu oft mehr als mörderisches denn heilbringendes Werk: Dank permanenten Verschleißes und Überlastung ist sie immer noch weltweit Hauptkrankheits- und Todesursache.

Die »Menschwerdung« trägt also recht unmenschliche Züge. Besonders, wenn man bedenkt, dass die Vernutzung der Arbeitskraft bislang fast ausschließlich besser gestellte Minderheiten begünstigte. Der der gemeinschaftlichen Tätigkeit innewohnende Zwang ging bis heute Hand in Hand mit dem ausbeuterischen Charakter blanker Lohnsklaverei. Wenn der technische Fortschritt jene von einem Rationalisierungsschub zum nächsten nach und nach überflüssig macht, so ist dies mehr als Segen denn als Fluch aufzufassen. Als Fluch wirkt es nur solange, wie die Lohnarbeit als primäre Einkommensquelle zur Sicherung des Existenzminimums gilt. Würde jenes vorbehaltlos und unabhängig von Lohnbeschäftigung gewährt, wäre der Fluch verschwunden.

Mit dieser Einsicht tut sich das linke Spektrum in weiten Teilen schwer. Man möchte den alten protestantischen (Zwangs-)arbeitsbegriff einfach nicht loslassen. Neuerdings versucht man ihm neues Leben einzuhauchen durch die Behauptung, der technische Fortschritt könne menschliche Arbeit niemals zur Gänze ersetzen, am wenigsten jene im sozialen Bereich. Zur Betreuung alter und kranker Menschen und zur Ausbildung und Unterrichtung junger Menschen etwa würden auch zukünftig Arbeitskräfte benötigt. Das mag kurz- bis mittelfristig stimmen. Auf die lange Sicht erreichen solche Überzeugungen schnell ihr Verfallsdatum. Immerhin gibt es schon jede Menge Lernsoftware. Im Pflegebereich testet man bereits die ersten Roboter. Ein französischer Autor führt noch das Beispiel der Straßenreinigung an. Hier kann man sich ein Lächeln nur schwerlich verkneifen, wenn man beobachtet, wie in Innenstädten Bürgersteige mit Kehrmaschinen gereinigt werden, wo früher Besenkolonnen unterwegs waren.

Selbst gesetzt dem Fall, dass in den genannten Bereichen kein massiver Stellenabbau erfolgen, sondern sogar noch Stellen entstehen sollten, so könnten sie doch niemals das in Produktion und sonstiger Dienstleistung aufgrund von Automation verloren gegangene und gehende Arbeitsvolumen nur ansatzweise auffangen.

Was die vehementen linken Verteidiger des Erwerbsarbeitszwanges ganz außen vor lassen: Die meiste in den von ihnen genannten Bereichen geleistete Arbeit wird gar nicht bezahlt, sondern im Rahmen von Haushalt, Familie, Nachbarschaftshilfe und Ehrenamt erbracht. Das Volumen dieser unentgeltlichen Beschäftigung übersteigt das der bezahlten bei weitem. 2001 soll es sogar doppelt so hoch gewesen sein. Die hier erbrachten Tätigkeiten sind für die Gesellschaft existenziell wichtig, wichtiger als der Großteil der überschätzten Lohnarbeit, der heute mehr denn je einzig der Kapitalverwertung dient (siehe u.a. Finanz- und Werbebranche). Wenn etwas entscheidend zur Menschwerdung beigetragen hat, dann der unbezahlte Dienst am Mitmenschen.

Die Technik macht den bestehenden Zwang zum Geldverdienen endgültig zum Anachronismus. Dieser war und ist mit demokratischen Freiheitsrechten ohnehin nicht zu vereinbaren, seine Abschaffung schon von daher überfällig. Das sollte auch endlich im linken Spektrum begriffen werden, anstatt sich mehrheitlich auch hier an überholte Denkmuster zu klammern.

Harald Schauff ist verantwortlicher Redakteur der Kölner Arbeits-Obdachlosen Selbsthilfe-Mitmachzeitung »Querkopf«, die für 1,50 Euro auf der Straße verkauft wird. Diesen Artikel hat er in der aktuellen Ausgabe des »Querkopf« veröffentlicht.

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Kommentar

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Kommentar von Manfred Wolter am 31. Mai 2014 um 8:02pm


In der kapitalistischen Wirtschaftsordnung dient die Arbeit nicht der Befriedigung individueller Wünsche und Bedürfnisse, sondern ist ein Selbstzwang: gearbeitet wird, weil gearbeitet werden muss. Leistung und die Pflicht nach oben zu streben werden dabei immer mehr zur Staatsdoktrin. Eine emanzipatorische Politik sollte daher ihre Kritik an der Arbeit selbst ansetzen.

Adorno sagte bereits "Es gibt kein richtiges Leben im Falschen" [3] - damit hat er recht. Wie es keinen humanen Kapitalismus geben kann, kann es auch keine humane Lohnarbeit geben. Die Lohnarbeit sollte als Problem, nicht als unumstößliche Wahrheit angesehen werden. Wir wollen nicht weniger als das schöne und selbstbestimmte Leben. Selbstbestimmt jedoch kann nur der Mensch sein, der unabhängig ist - egal ob die Abhängigkeit durch Lohn oder durch Sklavenhaltung erfolgt, wer für die befreite Gesellschaft steht, steht gegen jede Abhängigkeit. Zwangsläufig kann der Kapitalismus daher auch nur positiv überwunden werden, wenn auch die Lohnarbeit verschwindet.


Als Interimslösung sind Ideen wie Mindestlohn und Bedingungsloses Grundeinkommen durchaus begrüßenswert, geben sie uns doch die Möglichkeit zu beweisen, dass ein Leben ohne Hungerlohn und 45-Stundenwoche möglich ist. Auf lange Sicht muss jedoch eine radikale Kritik an den Arbeits-, und Produktionsverhältnissen ins Zentrum einer emanzipatorischen Kapitalismuskritik rücken, aus deren die Abschaffung der Lohnarbeit und die damit einhergehende Befreiung der Arbeitnehmer_innen aus ihrer doppelt freien Lohnarbeit folgen.

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