Kölner Initiative Grundeinkommen

Von Harald Schauff*

Trotz gelungener Pilotprojekte lehnen Großteile der Linken das Bedingungslose Grundeinkommen nach wie vor ab.

Es erregte weltweit Aufsehen: Das Pilotprojekt zum Bedingungslosen Grundeinkommen, hier »Basic Income Grant (BIG)« genannt, im namibischen Dorf Otjivero. Es begann im Januar 2008 und lief für zwei Jahre. Ein Verbund aus Kirchen und Hilfsorganisationen zahlte jedem Bewohner des Dorfes monatlich 100 namibische Dollar, umgerechnet knapp acht Euro. Ein geringer Betrag, der gleichwohl erstaunliche positive Effekte bewirkte, wie Simone Knapp von der Kirchlichen Arbeitsstelle Südliches Afrika (KASA), die das Projekt begleitete, gegenüber dem neuen deutschland (nd) in einem Interview betont.

So wurde die Unterernährung erfolgreich bekämpft. Der Hunger verschwand. Einige Bewohner kauften für das Geld Nahrungsmittel und hatten zum ersten Mal in ihrem Leben genug zu essen. Andere eröffneten sofort ein Konto, worauf sie das Geld ihrer Kinder einzahlten. Da das Projekt zeitlich befristet war, wollten sie sparen für die Zeit danach. Einige steckten das Geld in kleine Gewerbe und begannen u.a. Brot zu backen und Ziegel herzustellen. Bereits drei Monate nach Einführung des BIG hatten alle Familien anstehende Schulgebühren bezahlt. Des Weiteren ließ sich beobachten: Die Kinder waren beim Schulbesuch ordentlich gekleidet, gewaschen, gekämmt und hatten gefrühstückt. Deshalb konnten sie dem Unterricht besser folgen als früher, wo sie häufig mit knurrendem Magen die Schulbank drückten.

Anders als von Skeptikern befürchtet entstand keine Zweiteilung zwischen denen, die investierten, und jenen, die ausschließlich konsumierten. Dafür reagierten die weißen, zumeist deutschstämmigen, Farmer in der Nachbarschaft feindselig. Aus gutem Grund: Die Ausbeutung der Dorfbewohner gehörte zu ihrem Geschäftsmodell. Lokale Ladenbesitzer auf den Farmen behaupteten, die Leute würden das Geld vertrinken. Hintergrund: Die Dorfbewohner erledigten ihre Großeinkäufe nun in der Stadt und waren nicht länger gezwungen, die Läden der weißen Farmer mit ihren überteuerten Warenpreisen aufzusuchen. Das BIG begünstigte selbstständiges, verantwortungsbewusstes und ökonomisches Denken und Handeln der Dorfbewohner. Dafür erscholl lautes Wehklagen aus dem Lager der gut situierten Profiteure.

Die überwiegend positiven Effekte sollen inzwischen auch IWF und Weltbank überzeugt haben. Die »BAG Grundeinkommen« der Linkspartie fühlt sich ebenfalls bestätigt. Sie erachtet das Bedingungslose Grundeinkommen für notwendig zur Schaffung einer »solidarischen, partizipativen und kooperativen Gesellschaft.« Das BGE soll die Gesellschaft gerechter machen, ihren Zusammenhalt stärken und ihren Mitgliedern mehr Teilhabechancen eröffnen. Bei der Mehrheit der Linken stößt dieser Ansatz auf wenig Gegenliebe. Vor allem die gewerkschaftsnahen Teile der »Sozialistischen Linken« lehnen ihn rund heraus ab. Sie fürchten eine Entwertung der Lohnarbeit, werfen Grundeinkommensbefürwortern vor, Arbeit für »sinnlos und überflüssig« zu halten. Die Fronten scheinen verhärtet, ein Kompromiss nicht in Sicht. Zumal Vertreter des Gewerkschaftsflügels auch die auf dem Göttinger Parteitag beschlossene Mindestsicherung von 1050 Euro als »unrealistisch« einstufen.

»Im internationalen Kontext scheinen die Fronten weniger verhärtet«, heißt es in derselben Ausgabe des nd zu einer Podiumsdiskussion im nd-Gebäude Ende März. Sicher, Pilotprojekte wie in Otjivero sind zu erfolgreich, als dass sie sich schlecht reden und schreiben ließen. Deshalb verlegen sich Grundeinkommensgegner wie jene der gewerkschaftsnahen Linken auf eine andere Taktik: Sie fahren zweigleisig. Zum einen erkennen sie die positiven Effekte solcher Projekte in armen Drittweltländern an. Zum anderen behaupten sie, diese ließen sich nicht auf reiche Industriestaaten übertragen. Man müsse »die Debatten in den Ländern der Dritten Welt und den Industrienationen entkoppeln«, befindet Harri Grünberg, Sprecher der Sozialistischen Linken in der nd-Diskussion. In den Ländern des Südens sei das BGE ein »linkes Projekt«, weil es helfe, »aus der Armutsfalle herauszukommen, den Binnenmarkt stärke und im besten Falle die Entwicklung einer exportunabhängigen Konsumgüterindustrie unterstützen könne«. Von dieser Seite scheint Grünberg seine Lektion gelernt zu haben, auch wenn seine ökonomistischen Fabulierungen übergehen, dass die Menschen vor allem persönlich etwas davon haben, weil sie frei wählen können, wo und was sie tun. Die Frage drängt sich auf, ob die gekünstelt klingende Anerkennung hier nicht auch aus der Furcht geboren wurde, mit den weißen Farmern, also den »Klassenfeinden«, in einer Ecke zu landen.

Denn für reiche Industrienationen wie Deutschland sollen die genannten positiven Effekte nicht gelten. Warum? Weil es hier so gut wie keine, allerhöchstens relative, Armut gibt? Weil wir hier einen robusten Arbeitsmarkt haben, der zusammen mit Hartz IV verhindert, dass Millionen in der Armutsfalle landen? Oder weil bestimmte Institutionen, die sich früher einmal systemkritisch gaben, doch inzwischen längst im bestehenden System eingerichtet haben, befürchten, durch einen Systemwechsel, wie ihn die Einführung eines bedingungslosen Grundeinkommens mit sich brächte, überflüssig zu werden?
Und nun aufgepasst, was Grünberg als Alternative vorschlägt: »Wir müssen vom Kapitalismus eine Vollbeschäftigung fordern.«

Nein, kein Witz. So steht das Zitat im nd. Man spürt schon, wie der Kapitalismus vor dieser leidenschaftlich vehementen Forderung erzittert. Vollbeschäftigung? Ja, es gab einmal einen Zustand des deutschen Arbeitsmarktes, auf welchen diese Bezeichnung passt. Er dauerte, großzügig geschätzt, etwa zwei Jahrzehnte an, von den 50ern bis in die 70er. Ohne die verheerende Zäsur des II. Weltkrieges wäre er nicht möglich gewesen. Das sollte Leuten, die sich »links« und »Sozialisten« schimpfen, historisch bewusst sein. Ganz zu schweigen davon, dass man von dieser Seite eine systemüberwindende Perspektive erwartet und keine Kapitulation vor dem Kapitalismus.

Doch der Tunnelblick ist fest auf das Allheilmittel und die Hauptsache »Arbeit« gerichtet und blendet alle Verwerfungen des vermeintlich robusten Arbeitsmarktes aus. Und schützt vor der bitteren Erkenntnis, dass man den Anspruch auf die ganze Bäckerei längst aufgegeben hat, weil man seinen festen Platz in der Backstube sicher hat. Da können dem Munde solche historisch undurchdachten Äußerungen schnell entschlüpfen.

Sehen wir es Grünberg nach. Er ist eben »Sprecher« seiner Gruppe, nicht »Denker«.

Nachdenken sollte jedoch das Mindeste sein, wenn es darum geht, den Herausforderungen der Zukunft zu begegnen. Vermeintliche Idealzustände wie die Vollbeschäftigung gehören der bereits älteren Vergangenheit an und taugen nicht zur Lösung der Probleme von morgen. Das sollte man Linken, die doch als progressiv gelten wollen, nicht zu erklären brauchen. Rückwärts wendet sich hingegen alles, was Pfründe zu verteidigen hat, auch ideelle wie den Arbeitsethos. Jener hat die Arbeit zum Fetisch verklärt. Daran zu rütteln und ihn in Frage zu stellen, bedeutet nicht, die Lohnarbeit zu »entwerten« und für »sinnlos und überflüssig« zu erklären, wie linke Grundeinkommensgegner BGE-Befürwortern unterstellen. Es geht vielmehr im Prinzip darum, Arbeit von aufgezwungener, ausbeuterischer und gesundheitsschädlicher Beschäftigung zu freiwillig geleisteter, psychisch aufbauender und sinnvoller Tätigkeit umzujustieren.

Dadurch würde die Arbeitswelt humanisiert und die Arbeit erst richtig aufgewertet, weit hinaus über den Status der lästigen Pflicht und des notwendigen Übels, den sie heute innehat. Darauf sollte sich die »Arbeitslinke« besinnen, anstatt sich an die alten, verfilzten Zöpfe der Lohnsklaverei zu klammern. Hierzu zählt auch ein überholtes Menschenbild, das die Menschheit in aktiv Tätige, fleißig Schaffende einerseits wie nutzlose, arbeitsscheue, konsumfixierte Faulpelze andererseits unterteilt. Die Linke sollte sich endlich von solchen traditionellen Klischees lösen. Sonst könnte es ihr eines Tages passieren, dass sie links liegen gelassen wird.

Harald Schauff ist verantwortlicher Redakteur der Kölner Arbeits-Obdachlosen Selbsthilfe-Mitmachzeitung »Querkopf«, die für 1,50 Euro auf der Straße verkauft wird. Diesen Artikel hat er in der aktuellen Ausgabe des »Querkopf« veröffentlicht.

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